Speaking with the Angel

Nick Hornby (Hg.):
Speaking with the Angel.

Erzählungen.
Kiepenheuer & Witsch, 2001.
297 S.

Die Popliteratur wird erwachsen

Eine hochkarätige Auswahl aktueller englischsprachiger Literatur hat Nick Hornby hier zusammengestellt. Ob Roddy Doyle, Zadie Smith, Irvine Welsh oder Dave Eggers - sie sind Stars des Literaturbetriebes.
Sie alle haben eine Geschichte beigesteuert, und das umsonst. Denn "Speaking With The Angel" ist ein Benefiz-Projekt.

Nick Hornby´s kleiner Sohn ist Autist. Er besucht eine private, von betroffenen Eltern gegründete Schule, die vom Staat nicht gefördert wird. In seinem Vorwort erklärt Hornby die Situation von autistischen Kindern, die ihrer Eltern, und die Idee dieser Schule, TreeHouse, in seiner bekannten, dem common sense verpflichteten Art.

Derselben Grundhaltung verpflichtet ist auch Hornby´s eigene Erzählung: "Nipplejesus". Ein Ex-Türsteher wird verpflichtet, um in einer Galerie auf ein provokantes Kunstwerk aufzupassen, eine Collage aus Busen-Photos, die zu einer Kreuzigungsszene zusammengefügt werden. Der erwartete Skandal tritt ein, unser Held sieht sich zunehmend in der Rolle des Verteidigers der Kunst gegen Eiferer und Spießer. Als das Kunstwerk einem Anschlag zum Opfer fällt, muss er feststellen, daß die Künstlerin genau das gewollt hat, er selbst nur Teil einer Inszenierung war. Down to earth, das ist Hornby: für den kleinen Mann, aber gegen das Spießbürgertum; für Liberalität, aber gegen Zynismus. Kein Sprachkünstler, der Mann, aber ein solider Erzähler mit Witz und Persönlichkeit.

Irvine Welsh dagegen bewegt sich, wie schon in seinem letzten Roman "Drecksau", zunehmend in den Gefilden des Irrsinns. Seine Story: "Katholische Gewissensnot" führt erneut einen verstockten, homophoben Macho-Helden vor. Welsh jagt ihn erst in den Tod, dann in einen anal verkehrten Alptraum, und schließlich in die Hölle. Katholische Gewissensnot, tss tss.

Und Roddy Doyle? Kommt mit einer Verlierer-Meditation daher, die vielleicht etwas zu lang ausgefallen ist. Angenehm ist allerdings, daß in "Der Knecht" der typische Doyle´sche Humor etwas dezenter als üblich eingesetzt wird.

Etwas flau und eigentlich richtig enttäuschend ist die Story von Zadie Smith. Ihr - auch hier - hochgelobtes Debüt "Zähne zeigen" zeichnete sich durch Phantasie und den Willen zum großen Rahmen aus, nicht aber durch die Fähigkeit, wirkliche Figuren zu erschaffen und sie mit Leben zu erfüllen. "Ich bin der Einzige" ist ein mißglückter Versuch, das Lebensgefühl eines Vierzehnjährigen einzufangen. Leider versteht man dabei nicht, worum es geht.

Sehr hübsch, wenngleich etwas kitschig ist die Geschichte "Wunderbar" von Melissa Banks, einer von zwei Amerikanern in diesem 12er-Feld. Eine Liebesgeschichte! Soll man sagen: Brett Easton Ellis ins Positive gewendet, oder soll man´s gleich Michael Chabon nennen?

Auch Dave Eggers, der andere Amerikaner, kommt mit einer anrührenden Geschichte daher. Auf Eggers mußte man am gespanntesten sein, ist es doch die erste deutsche Veröffentlichung des neuen amerikanischen Kultautors. Seine Story "Nachdem ich in den Fluss geworfen wurde" fällt als einzige komplett aus dem Rahmen, den Hornby, Doyle und Welsh setzen. Kein sozialer Realismus, keine Verlierergeschichte, keine Drogen, kein Sex: Dave Eggers hat eine Hundegeschichte geschrieben. Hunde. Der Erzähler ist ein Hund. Der als junger Hund ertränkt werden sollte, gerettet wird und in eine typische Suburb Familie gerät. Die Story schildert, wie sich die Hunde der Gegend nachmittags im nahegelegenen Wäldchen treffen, wie sie um die Wette rennen, wie der Held dabei umkommt und wie er schließlich im Hundehimmel landet. ABER: diese Geschichte ist gut!

Das Projekt, an dem Eggers mit Mc Sweeneys, seiner literarischen Zeitschrift, arbeitet, ist die Überwindung der literarischen Postmoderne, die Überwindung der Ironie mit den Mitteln der Ironie. Diese erzählerische Haltung der Metaironie war in seinem Roman "A Heartbreaking Work of Staggering Genius" noch allgegenwärtig. In der vorliegenden Geschichte scheint das Projekt abgeschlossen zu sein: Das Feld ist gerodet, Eggers kann ganz ohne jede Ironie, völlig distanzlos eine Geschichte erzählen, wie sie das letzte Mal in den 30ger/40ger Jahren möglich war, schon in den 50gern altmodisch wirkte und mit den 60gern unmöglich wurde. Eine Tier-Geschichte, in der sich die Sehnsucht nach Freiheit, nach Mobilität, nach einem Leben, das frei ist von Zwängen, ausdrückt. Ralph Waldo Emerson kommt einem in den Sinn, Hesse zwar auch, aber auch Hemingway. Beeindruckend. Möglicherweise markieren Dave Eggers Arbeiten einen Durchbruch in der amerikanischen Literatur.

Wesentlich weniger hoch greift Robert Harris, der Schwager Hornby´s, in seiner Geschichte: "Der Premierminister hat das Wort". In ihr wird beschrieben, wie der britische Premier durch einen Klofenstersturz nolens volens aus der Rolle fällt, kurzfristig abhanden kommt, dabei sich mit einer jugendlichen Autoknackerin zusammentut, und schließlich einen ihm besonders missliebigen Journalisten verprügelt. Gekonnte Unterhaltung nennt man das, und das gilt für die meisten der Stories in diesem Band.

Abgesehen von Dave Eggers und Zadie Smith gehören die Autoren nicht zu der jüngsten Generation englischsprachiger Autoren. Sie sind alle arriviert, haben ihre Wurzeln in den 80ger und 90ger Jahren. Die Geschichten zeigen dies: ihre Helden haben die 30 meist deutlich überschritten. Dies ist keine Popliteratur mehr, oder Popliteratur ist die Unterhaltung für moderne Erwachsene geworden. Und so ist denn auch passend, daß die Einnahmen aus dem Verkauf dieses Buches an eine Schule gehen.

Ulrich Klammt

Erzählungen von:
Nick Hornby
Robert Harris
Melissa Bank
Patrick Marber
Colin Firth
Zadie Smith
dave Eggers
Helen Fielding
Roddy Doyle
Irvine Welsh
John O´Farrell
Giles Smith

Rezension zu
Nick Hornby: About a Boy



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Erstellt am 15.06.2001 ©u-lit/