Maxim Biller - großer Provokateur oder Windei? Sagen Sie selbst!
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Maxim Biller:
Die Tochter.

Kiepenheuer & Witsch 2000.
426 S.

Die Geschichte einer Verwüstung


Oje, ach und weh, was für eine trübe, traurige und verworrene Geschichte ist das denn nur. Wem es gut geht, der braucht dies nicht, wem es schlecht geht, dem geht’s hernach noch schlechter.
Nun gut, Literatur muß nicht erbaulich sein, wenngleich das Bedürfnis danach groß ist, wie der Erfolg von Bernhard Schlink gezeigt hat. Sie darf sich auch des hochfahrenden Gestus des Wahrheitssuchers bedienen, sie kann im Gewand des Schmerzensmannes daherkommen; sie kann sich als Insider Bericht aus der alltäglichen Hölle geben, sie kann kokettieren mit ihrer Verworfenheit. Überhaupt kann sie in so ziemlich alle Gewänder schlüpfen und diese auch noch permanent wechseln, ist sie doch schließlich ein Produkt der menschlichen Phantasie, und wie die ständig springt zwischen den nettesten Nettigkeiten und den aberwitzigsten Monstrositäten, das weiß man ja. Und als hätte man an seiner eigenen Phantasie nicht schon genug, muß man sich dann auch diejenigen anderer Leute antun.

Maxim Biller Die Tochter Rezension. Hübsches Rot, aber sonst....


Was man ja vielleicht auch nur deswegen tut, damit man zumindest zeitweise von der eigenen erlöst ist. Erlösung, darum scheint es auch in diesem Buch zu gehen. In einer einigermaßen abenteuerlichen, windschiefen Konstruktion bastelt Biller, so scheint es mir, sich einen Art Amulett, einen Fetisch, der die bösen Geister bannen soll. Die Konstruktion geht so:

Ein Ich-Erzähler, der für "Tempo" geschrieben hat und jetzt Schriftsteller ist, lebt in München mit einer Frau zusammen. Da er Jude ist, beschließt die Frau, zum Judentum überzutreten. Als sie es geschafft hat, bekommt sie ein Kind. Doch das Kind, eine Tochter, ist von einem Anderen, was sich jedoch erst einige Jahre nach der Geburt herausstellt. Der Ich-Erzähler verläßt beide und kündigt an, endlich aus dem ungeliebten Deutschland nach Israel zu gehen. Er sei schon dabei, sich zu verabschieden, versichert er, vorher müsse er aber noch dieses Buch zu Ende bringen.

Und das Buch handelt von Motti, einem jungen Israeli, der in Deutschland strandet. Mit einem schrecklichen Kriegserlebnis, einem Ausbruch nackter Bestialität, im Nacken, sehnt er sich nach Vergessen, nach Frieden. Er heiratet eine Deutsche und bekommt mit ihr ein Kind. Jedoch die Frau ist schrecklich, ein emotionales Monster. Mottis Ehe wird zum Martyrium, er selber immer depressiver. Seine ganze Liebe gilt seiner Tochter, die er sexuell mißbraucht. Schließlich fällt sie aus dem Fenster und stirbt.

Dies wird aber nur in Rückblicken erzählt, ergibt sich erst nach und nach. Daß Mottis Tochter tot ist, erfährt man erst am Ende. Eigentlich nämlich begleiten wir Motti durch einen Tag zehn Jahre später, an dem er seine Tochter in einem Pornovideo zu erkennen glaubt. Motti ist zu diesem Zeitpunkt ein Wrack, und so schwanken wir mit ihm fast das ganze Buch hindurch halluzinierend durch ein kaltes, feindliches München, taumelnd zwischen Absencen, schlimmen Panikattacken und weggetretener Euphorie.

Kindersex als Folge emotionaler Verkümmerung. Die Verwandtschaft von Schweigen und Gleichgültigkeit. Die Nähe von Gleichgültigkeit und Grausamkeit. Themen, die sich auch bei Houellebecq oder Ellis finden, aber anders als diese schreibt Biller nicht from inside the beast. Statt dessen spannt er seine Moritat von der Verwüstung seines Helden auf den Rahmen des Verhältnisses zwischen Deutschen, Israelis und europäischen Juden. Was eine Geschichte für sich ist: Wie Motti aus dem israelisch-arabischen Krieg flieht, wie er sich tragischerweise in die große, blonde, schweigsame Deutsche verliebt, unter welchen grotesken Mißverhältnissen seine Beziehungen zu seinen Schwiegereltern und anderen Deutschen leiden, wie er sich seinen Eltern und Israel entfremdet, wie sein bester Freund und Armeekumpel in Israel bleibt, nur um sich später umzubringen.

Aber der Roman heißt "Die Tochter". Sie ist der Fixpunkt in Mottis Welt, ihr gilt seine Liebe, sie hegt er, sie mißbraucht er. Und alle, die Mutter, Die Schwiegereltern sehen weg. Auch das eine Geschichte, eine traurige, für sich. Eine Geschichte allerdings, die nur zur Hälfte überzeugend ist, nämlich in der Beschreibung der Liebe, der Sorge für die Tochter. Der Mißbrauch hingegen bleibt schemenhaft, wie aus dem "Handbuch für Kindesmißbrauch" (das gibt es wirklich) zusammengeschrieben.

Im Grunde bleibt völlig unklar, was der Mißbrauch in dieser Geschichte überhaupt verloren hat. Ist es als eine Art Generalmetapher für das Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen gedacht? Oder reizte Maxim Biller einfach die maximale negative Besetztheit dieses Topos? Auf der berüchtigten Tutzinger Tagung forderte Biller eine neue Radikalität, ein Stellungnehmen zu gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Gleichzeitig ließ er Bewunderung für Autoren wie eben Ellis erkennen. Aber es ist eine Sache, ob man, wie Ellis, aus sozialer Inkompetenz Horrorvisionen erwachsen läßt, oder ob man eine Geschichte über das Verhältnis zwischen Deutschen, deutschen Juden und Israelis zu dramatisieren trachtet, indem man ihr eine sexuelle Katastrophe aufpfropft.

Es ist ein merkwürdiges Buch, das Baddiel geschrieben hat. Vom Ende her betrachtet, scheint er von die ganze Zeit eine Geschichte über die Vergänglichkeit der Liebe im Angesicht des Todes im Sinn gehabt zu haben. Dabei spart er nicht an drastischen Mitteln. Seinen Helden Vic zerrt er durch die tiefsten Abgründe der Schuld, Joe läßt er am Ende der Geschichte als Wrack zurück. Lediglich Tess kommt halbwegs ungeschoren aus der Geschichte heraus. Es scheint, als sei dem Komiker einiges im Kopf herum gegangen bei diesem Buch. Allerdings bleibt der Eindruck, daß Baddiel sich entweder zuviel vorgenommen hat, und dem letztlich nicht gewachsen war, oder daß er sich nicht wirklich entschieden hat, welche Geschichte er erzählen wollte. Das Buch beginnt als Komödie, wechselt zur Liebesgeschichte, wird dann dramatisch, und scheut schließlich vor der Moritat zurück, indem es ins psychologische ausweicht. Gottseidank kann Baddiel erzählen, mit Sinn für Details und Charakterisierung. So bleibt man bis zu Schluß bei der Stange und ist bereit, tatsächlich darüber nachzudenken, was das ist, was man so Liebe nennt.

 

Informationen zu Maxim Biller,
Biographie und Veröffentlichungen

Eine Polemik zur Polemik:
Maxim Billers Schlappschwanz-Rede



Zuletzt geändert am 30.11.2000 ©u-lit