Frederic Beigbeder. Neununddreissigneunzig 39,90

Frederic Beigbeder:
39,90 Neununddreissig neunzig.

Roman. Aus dem Französischen von Brigitte Grosse.
Rowohlt, 2001.
272 S.

Was Werber sich spät Nachts erzählen

Eines vorweg: Was sich zwischen diesen Buchdeckeln befindet, ist keine Literatur. Glaubt niemandem, der euch erzählt, diese Buch sei so gut wie "American Psycho" oder auch nur so gut wie "Elementarteilchen". Wer dieses Buch kauft, nimmt Teil an einem Medienereignis.

Frederic Beigbeder ist ein cleverer, umtriebiger junger Mann, der das Spiel mit und in den Medien bestens beherrscht. Die Art und Weise, in der Beigbeder "39,90" als Skandal inszeniert und als Bestseller positioniert hat, ist bewunderungswürdig.

Hier noch einmal das notwendigste an Vorwissen: Beigbeder hat 10 Jahre lang als Topwerber gearbeitet. Gegen Ende dieser Tätigkeit fing er an, dieses Buch zu schreiben. Es geht um einen Topwerber, der, angeekelt von seiner Branche, mit einem Enthüllungsbuch seinen Rauswurf provozieren will. Was Frederic Beigbeder dann auch gelang. Seinen Helden hingegen entlässt er nicht, er lässt ihn ins Gefängnis werfen und einen metaphorischen Tod sterben. In das Gefängnis kommt der Held, weil er an einem Mord beteilig war. An einem Mord war er beteiligt, weil er viel zu viele Drogen nimmt, weil er jeglichen Kontakt zur Realität verloren hat, weil er von seinen Freundinnen verlassen worden ist.

Diese Rudimente einer Geschichte und eines Charakters spielen im Buch aber eine untergeordnete Rolle. Der Großteil des Textes geht drauf für langatmige Tiraden über die Werbung, die Warenförmigkeit der Welt, die Künstlichkeit der Bedürfnisse und dergleichen mehr. Ein weiteres Teil besteht aus Dialogen und Karikaturen aus der Welt der Agenturen.

Dieses Element, dieser Report aus der Arbeitswelt, könnte eigentlich ganz interessant sein. Leider ist Beigbeder aber nicht daran interessiert, die Realität des Alltags in einer großen Agentur wiederzugeben. Er will die Branche an den Pranger stellen. Die Szenen aus der Agentur sind samt und sonders von ausgeprägter Schwachsinnigkeit, von herbem Zynismus, von nichtssagender Geschwätzigkeit, von Feigheit und Verachtung geprägt. Was in aller Tendenziösität auch zu lustigen Ergebnissen hätte führen können, wenn der Erzähler dies nicht auch noch permanent entsprechend ankündigen und kommentieren würde.

E s hilft nichts: Frederic Beigbeder hat ein Pamphlet geschrieben, ein langes, kunstvoll in Szene gesetztes zwar, aber ein Pamphlet.Den Job nun erledigt er mit Bravour und erforderlicher Eindringlichkeit. Brillianz allerdings lässt sich "Neununddreissig neunzig" auch in dieser Hinsicht nicht attestieren. Dazu wäre ein klarer Standpunkt erforderlich gewesen, von dem aus der Text argumentiert, etwa eine dezidierte Kapitalismuskritik.

Allein, Beigbeder ist kein politischer Denker. Er ist ein Szenegänger, ein Medienmensch, der sich sein Unwohlsein gegenüber seiner Welt wortgewaltig von der Seele geschrieben hat. Und dieses Unwohlsein dann gleich auf die ganze Welt ausdehnt.

Man wird das Gefühl nicht los, dies sei, was Werber sich gegenseitig erzählen, wenn die Nacht fast vorüber und sie selbst fast hinüber sind. "Wir durchschauen alles!" schreit dieser Text. Auch einer der Gründe, warum dieses Buch bei den Medien so beliebt ist.

Burckhard Christians

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Beigbeders 39,90: Geniestreich oder Medienhype?
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Erstellt am 16.06.2001 ©u-lit/