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zu
Christoph Hein

"In ... Harper's las ich kürzlich ... habe eine Leserbriefschreiberin aus Tennessee mitgeteilt: »Meine Smith & Wesson schützt mich besser als die Verfassung.«" Christoph Heins Rede zum Solothurner Literaturpreis 2000

Christoph Hein:
Willenbrock

Suhrkamp, 2000.
319 S.

Es ist in der Welt

Da ist eine Pistole. Und von dort kommt der Schurke. Ein Knall, ein Fall – welch glückliche Fügung. Sonnenuntergang, Abspann und aus.
Irgendwie war im guten alten WildWildWestern immer alles richtig und korrekt, die Knarre war in etwa das selbe wie heute das Telefon, und das Gute hat ja sowieso immer gewonnen. Moderne Konflikt=Kriegstechnik hatte dem nichts hinzuzufügen, lediglich die Formen änderten sich. Die Penunze wanderte vom Sparstrumpf in den Banktresor, die Pistole unterm Kopfkissen hervor in den Wandschrank. Alles andere blieb dem Kino/Fernsehen überlassen: Ob nun die Glorreichen Sieben oder das A-Team –: nur der bürgerliche Film beschrieb die Bleispritzen als Artefakte überwundener Tage in antiquarisch wertvollen Glasschränken. Doch manchmal griff wer in Papas Wohnzimmervitrine und färbte nachher die Straße, oder in jüngerer Zeit den Schulhof. Daß sich so etwas in zivilgesellschaftlichen Zeiten nicht gehört, völlig klar – schließlich gibt’s Schützenvereine und gesellige Gotchanachmittage im Wald für Unbelehrbare und Fetischisten; auch die WeitWelteneWaffenindustrie machte einen schlagenden Vorschlag: Jedem seine Bleispritze und dann ist Ruhe. Wie eben auch jeder sein Telefon hat. So nah so irgendwas.

Aber, wenn das sogenannt Zivile doch nicht so recht zivilisiert sein will? Wenn's da welche gibt, die die schönen Miteinanderregeln einfach mittendurch brechen, sei's per Diebstahl oder Einbruch oder Draufhalten=Losballern? Im Normalfall des Bürgers greift der Staat ein und kräftig durch, behelmt und dunkelgrün, am liebsten mit lauschiger Überwachung. Aber noch was: wenn auch das versagt, trotz allen Vertrauens in alle Organe (vor allem den gesunden Menschenverstand) –:

Einen solchen Fall beschreibt Christoph Hein. Und kommt zu dem niederschmetternden Fazit: „Meine Smith&Wesson schützt mich besser als die Verfassung.“ Nicht daß Hein jetzt selbst – aber seine Figur Willenbrock. Der betreibt eigentlich nur einen Gebrauchtwagenhandel in Berlin, so ein bißchen fastganzlegal, verdient sich zufrieden, kann die boutiqueleitende Frau beglücken, verschiedene Kundinnen auch (in Hotelbetten), hat ein nettes Freizeithäuschen in Brandenburg und unangenehme ExDDR-Kollegen vom aufgelösten Betrieb. Soweit der Anfang, und die Geschichte geht auch einfach: Einbruch ins umzäunte Autogelände, Versicherung weigert sich, Kündigung, Wachdienstmann her. Erneuter Einbruch=Raubüberfall, Spurensicherung=mehr nicht, Schreckschußpistole her + Sicherung des Freizeithäuschens. Behördenschweigen. Besonders, nachdem Willenbrock+Frau im Häuschen überfallen, die Täter gefaßt aber laufen gelassen werden. Alle zivilen Lebenssicherungen rutschen davon. Krylow, ein stolzer befreundeter Russe, bietet sonderbare Hilfe, hinterläßt eine Waffe. Bei einem erneuten Einbruch geht das Ding los – und nichts weiter.

Hein erzählt davon, wie die Waffe in die Welt kommt. Willenbrock ist durchaus kein gewaltbereiter Mann, braucht lange zur Überwindung. Und es geht auch nicht darum, wie der schließlich frischgebackene Schütze W. Reue=Gewissen=Schuld&Sühne präsentiert oder vor irgendwelchen Gerichten landet (Matlock, Colombo, WiewürdenSieentscheiden?): Der Roman endet mit Happy End für Familie Willenbrock+Frau (Susanne), die ihre schweren Stunden überstanden haben, besonders Schock und psychische Belastung nach dem Freizeithäuschenüberfall. „Die Obstbäume standen in Blüte, und das Abendlicht verstärkte den zarten Glanz der rosafarbenen Blätter.“ So harmlos und werbeschön grenzkitschig ist der Schluß. Die Knarre hat gesprochen : So What? Life goes on. Alles Zweifeln hat sich eines Besseren belehren lassen. Und so duftend wohlig das Ende, so steckt darunter das schwarze Sicherheitsgerät ganz sicher. Das anfangs noch Sichergeglaubte: reine Fassaderie, Wohlanständigkeitsverhältnisserei – das sagt der letzte Satz, und das Gerät stört nicht einmal.

Für Willenbrock ist es die Erfahrung des Sündenfalls, denn Illegales gegen Illegales einsetzen, das stößt weit über die Grenzen des Bürgers des Gewissen des Vertretbaren. Nur bleibt der Sündenfall folgenlos, zumindest von Seiten des Gesetzes. Was plötzlich doch wieder stört: Ist es das, was letztlich auch Zivilcourage meint?

Hein beschreibt nicht das so debattenbeliebte Thema Gewaltursachen, sondern die Reaktion darauf: Vollkommen egal, woher die Täter kommen + deren Motive. Wenn der Staatsschutz den Staatsbürger nicht mehr schützt, dann ist auch die Verfassung unnütz, siehe oben.

Der Roman ist als Text eine recht langweilige Sache. Kein Wortwitz, keine irgendwie interessante Ästhetik, nichts, was den Formen des Erzählens irgendwas hinzufügt; schlichtes aber gekonntes Handwerk. Aber was solls: ist das immer so wichtig? Diesem Roman jedenfalls nicht, eventuell könnte es stören, wo doch die Geschichte selbst schon sonderbar störend genug ist, in zivilgesellschaftlichen Couragezeiten. Der Held des Romans muß auch garnicht das Erzählen sein: eine Geschichte, die nur erzählt werden möchte. Held=Zentrum ist die Waffe, das Symbol einer grundlegenden gesellschaftlichen Störung: Es braucht nur den Impuls für den Abzug. Und absurd: wer wollte Willenbrock tatsächlich verurteilen. Da er eben das für sich beansprucht=durchsetzt, was nicht gewährleistet wird. Pandoras Box mit einem Schuß geöffnet, es ist in der Welt und war ganz einfach gegangen, größere Geburtswehen waren bald überwunden –: Von wegen Glasschrankartefakte. Abspann in rosarot, dennoch –

Sascha Preiß
 


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Erstellt am 31.03.2001 ©u-lit/preiß