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ICH MÖCHTE FOLGENDE WINZIGE BOTSCHAFT HINTERLASSEN: JEMAND HAT IN DEN 90er JAHREN DES 20. JAHRHUNDERTS DEUTLICH DIE ENTSTEHUNG EINES MONSTRÖSEN UND GLOBALEN MANGELS VERSPÜRT
Abt. I

   
Michel Houellebecq

hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, zum meistdiskutierten Gegenwarts-Autor aufzusteigen. Zwei Romane, eine Erzählung, einige Gedichte und Essays machten ihn reich und berühmt. Seine enorme Wirkung verdankt der Franzose nicht nur seiner suggestiven Mixtur aus Philosophie und Poesie, sondern auch einer beeindruckenden Selbstinszenierung. Sascha Preiß und Kristian Kißling haben sich des "Phänomens Houellebecq" angenommen:
Kristian Kißling schreibt über die Romane:
Ausweitung der Kampfzone
und
Elementarteilchen,

Sascha Preiß nahm sich der Essays und Gedichte an:
Die Welt als Supermarkt
und
Suche nach Glück.

Wieder Sascha Preiß schreibt über den Text- und Fotoband Lanzarote

Beide diskutieren Strategien und Geschichte der Autor-Inszenierung anhand des Phänomens Houellebecq

Informationen zu Michel Houellebecq

 
 



"Die Ausweitung der Kampfzone"
"Elementarteilchen":
Die Obduktionen des Michel Houellebecq


Wer glaubt, Informatiker könnten nicht schreiben, wird nach dem Lesen der Romane des Franzosen Michel Houellebecq seine Ansichten über Bord werfen müssen. Noch immer gelten Informatiker als unsoziale Stubenhocker, die glücklich sind, wenn man sie mit der Maschine in eine Zelle sperrt. Zwar wurden sie im Zuge der Info-Revolution plötzlich rehabilitiert, in die obersten Gehaltsklassen gespült und durften einen enormen Prestigegewinn verbuchen, aber sie legen noch immer keinen Wert auf ihr Äußeres und schuften oft in kleinen Firmen, die sich Start-Ups nennen. Dort gibt’s Pizza umsonst und auch ein Billardtisch ist vorhanden. Angeleitet und ständig ermuntert werden die blassen Computerfreaks von geligen, aber verständnisvollen Jungunternehmern, die dem störrischen Vieh gut zureden, damit es weiter ackert. So in etwa leben jedenfalls Douglas Couplands “Mikrosklaven”.

Michel Houellebecqs Protagonisten schlagen ganz andere Töne an. Der namenlose Ich-Erzähler in “Ausweitung der Kampfzone” entwickelt Software für das Landwirtschaftsministerium und verdient in seinem langweiligen Job immerhin doppelt soviel wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Zusammen mit seinem Kollegen Tisserand wird er in verschiedene Städte geschickt, um Schulungen für ein Computerprogramm abzuhalten. Diese ihm verhaßten Reisen entwickeln sich mehr und mehr zu einer Katastrophe, die sein Leben und das von Tisserand als Hölle entlarven. Tisserand, ein aufgrund seiner Häßlichkeit absolut erfolgloser Frauenjäger, verzweifelt zunehmend an seinen Mißerfolgen und der sexuellen Frustration. Unbarmherzig schildert der Ich-Erzähler diese “Kampfszenen” und verleitet Tisserand schließlich zu einem Mordversuch an einer ihn ablehnenden Kandidatin. Doch Tisserand hat Skrupel und kommt - auf diesem Höhepunkt seines Niedergangs bei einem Autounfall ums Leben.

Der einzelgängerische Ich-Erzähler hingegen fällt sukzessive dem Wahnsinn anheim. Sein Rückzug ins Ich führt ihn in eine absolute Lethargie. Sein analysierender Blick des Außen fördert eine kalte Welt von isolierten Individuen zu Tage und bringt ihn von der Couch der Psychoanalyse direkt in die Psychiatrie

Der folgende Roman “Elementarteilchen”, der um eine ähnliche Thematik kreist, zog die Aufmerksamkeit eher im Zuge der Gen-Debatte auf sich. Ein nicht namentlich genannter Autor der Zukunft erzählt rückblickend das Leben von Michel Djerzinski, der die Grundlagen für die Schaffung einer neuen Spezies Mensch im Jahre 2029 legte. Auch Bruno, Michels sexsüchtiger Halbbruder, taucht auf, um, wie es am Schluß heißt: “jene leidgeprüfte, mutige Spezies, die uns geschaffen hat, zu ehren.” Michel, der aufgrund eines Desinteresses seiner Eltern bei der Großmutter aufwächst, fühlt sich durch eine unsichtbare Mauer von der Welt getrennt. In sich selbst zurückgezogen, begreift er das Draußen als eine von seiner Person entkoppelte Objektwelt, mit der er als Biochemiker zu spielen lernt. Diese Trennung bedingt eine Gefühlspassivität, die das Scheitern der Beziehung zu seiner Jugendliebe zur Folge hat. Enttäuscht über die unzulängliche biologische Einrichtung der Menschen entwickelt er eine Theorie zu ihrer genetischen Verbesserung - durch die Aufhebung des Gegensatzes von Mann und Frau.

Als menschliches Studienobjekt fungiert dabei sein im Internat aufgewachsener Halbbruder Bruno. Kindheit und Jugend, in denen er unter den Aggressionen seiner Altersgenossen zu leiden hatte, haben ihn zum Aussenseiter gemacht. Nun ist er Lehrer, und wird von seiner körperlichen Lust beherrscht. Seine zwanghafte Suche nach Frauen, die ihm seine sexuellen Wünsche erfüllen, führen ihn in abstruse Esoterik-Kurse, zu den Hippies und anderen Bewegungen der 70er und 80er Jahre – doch die Enttäuschung ist unausweichlich.

Als er schließlich eine Frau findet, die ein offenes sexuelles Verhältnis bevorzugt, stirbt sie auch schon bald. Michel beobachtet Brunos Rückschläge und dessen zunehmende Verbitterung und vergräbt sich immer tiefer in die Wissenschaft. Seine Idee des neuen Menschen findet in der Gesellschaft, die von den selben Krisenphänomenen geschüttelt zu werden scheint großen Anklang. 2029 entsteht der so oft herbei zitierte “neue Mensch”, während die alte Spezies langsam ausstirbt.

Houellebecqs Romane pflegen einen unbarmherzig nüchternem Stil. Wie ein Pathologe seziert er die Gesellschaft und notiert die Gründe ihres Sterbens. Die Figuren beobachten die Welt, ziehen ihre empirischen Schlüsse und basteln sich aus diesen ihre Weltsicht. So übersetzt Michel die ihm begegnenden sozialen Phänomene nur noch in Hilbert-Räume und Einheitsvektoren und entpuppt sich damit als postmoderner Nachfolger LaMetries, der im 18. Jahrhundert den Menschen zur mechanischen Maschine erklärte. Die eingestreuten philosophische Passagen, die in der “Kampfzone” noch als vom Protagonisten entworfene Gespräche zwischen Tieren komisch und absurd wirkten, werden in den “Elementarteilchen” oft anstrengend, da eine wirkliche Selbstreflexion fehlt.

Es fällt auf, dass diese Lebensphilosophien sich sehr gleichen, dass die Erfahrungen, die gemacht werden, meist negative sind. In beiden Roman stößt man rasch auf ein Grundmuster, die Wurzel allen Übels, das sich in der “Kampfzone” so darstellt: “Die Triebanziehungskräfte entfesseln sich um das dreizehnte Lebensjahr, danach werden sie zunehmend schwächer oder lösen sich in Verhaltensmodellen auf, die alles in allem nichts weiter als erstarrte Kräfte sind. Die Gewalt der ursprünglichen Entfesselung bewirkt, dass der Ausgang des Konflikts mehrere Jahre lang ungewiss bleiben kann; man nennt dies in der Elektrodynamik einen Übergangszustand.”

Diese These zieht die Konflikte von Houellebecqs Protagonisten nach sich. Zum einen ist da der Sex. Nach dem Abflauen jener “Triebanziehungskräfte” wird er zur Handelsware, zum Teil der ökonomischen Sphäre, der “Kampfzone”. Wurde Sex in den 60er und 70er Jahren noch als Befreiungsmoment erlebt, ist er nun zu einem gesellschaftlichen Zwang geworden, zu einem Statussymbol, das es zu erringen gilt. Zur gelungenen Karriere gehört nun auch der gelungene Sex. Die Ökonomie erobert die Zone des Privaten durch eine Werbung, die den Verbrauchern das Streben nach Schönheit und sexueller Aktivität abfordert. Während der abgeklärte Informatiker der “Kampfzone” sein Sexualleben auf den Besuch von Huren reduziert, steht Tisserand noch unter dem Druck, sich eine Partnerin suchen zu müssen, da zu einem gesunden Selbstwertgefühl beruflicher Erfolg nicht genügt. Seine Verkrampfung in dieser Beziehung bedingt auch sein Scheitern und zerstört ihn allmählich.

Ähnliche Konstellationen finden sich auch bei Bruno und Michel. Während letzterer seine Triebe auf die Forschung überträgt, mutiert Bruno auf seiner Suche zu einem kaputten Zyniker. Die pornographischen Bestandteile, für die “Elementarteilchen” kritisiert wurde, folgen lediglich der Logik des Marktes. Während die Erotik das Mysterium der Liebe als Leerstelle umspielt, reduziert die Pornographie den Sex auf einen biologischen Akt, hinter dem das Nichts steht. Was sie verspricht, kann sie nicht halten, wie alles, was in der Warenwelt zirkuliert. Houellebecqs Protagonisten bewegen sich also in der kalten Welt einer positivistischen Logik, die jeder Metaphysik entkleidet ist. Sex ist (erzeugtes) Bedürfnis und biologische Notwendigkeit, Liebe ist eine von Menschen gemachte Illusion, um diesen Zustand zu verschleiern.

Geprägt werden Houellebecqs Menschen in ihrer Jugend, wenn sie den Schein des Lebens als Illusion wahrnehmen und von da an nur noch zu retten versuchen, was nicht mehr zu retten ist. Houellebecqs Meisterschaft besteht darin, den Prozess dieser Desillusionierung abbilden zu können. Er begleitet die Figuren in ihrem Scheitern, zeigt, wie sie versuchen mit der Einsamkeit zu leben, wie sie vom Gewicht der tristen Welt immer mehr erdrückt werden und wie ihre Versuche der Kontaktaufnahme zu anderen “Elementarteilchen” fehl gehen. Er enttarnt die Single-Welten, die in der Werbung so fröhlich und frei daherkommen, als Labyrinthe ohne Ausweg. Ähnlich wie für die Maus in einer von Kafkas Kurzgeschichten wird für diese Menschen die Welt immer kleiner, bis sie in einer Ecke gefangen sind.

Die Zeichen dieser Welt sind Supermärkte, fast-food und kleine Appartements. Private Kontakte gibt es kaum, die Menschen treffen sich lediglich am (gut bezahlten) Arbeitsplatz, um sich dort – jeder für sich – um Kompetenzen und Hierarchien zu streiten. Tugenden wie persönliche Freiheit und Unabhängigkeit schlagen in ihr Gegenteil um. Als Gegenentwurf fungiert nun in den “Elementarteilchen” die Gentechnologie. Sie soll als heilbringende Technologie endlich den alten unperfekten Einzelmenschen durch das glückliche Kollektiv ersetzen – durch die Ausrottung des Übels, das in die Gene eingeschrieben ist. Seltsam, dass diese Idee in dem Buch auf ein so positives Echo bei den Mitmenschen trifft. Seltsam auch, das nur noch der Technik dieses Veränderungspotential zugetraut wird.

Die logischen Denkfiguren, mit denen Houellebecq die Umwelt als marktgesteuert enttarnt, der Pessimismus und Fatalismus der Figuren sind einerseits überzeugend und erinnern an die Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule, wie sie Adorno und Horkheimer in den fünfziger Jahren entwarfen. Andererseits wird dieser Kritik in “Elementarteilchen” ein allzu naiver Ausweg gegenüber gestellt. Es klingt ein bißchen so wie die Gesänge der 50er Jahre auf die Segnungen der Atomkraft. Die Verallgemeinerung, also die Übertragung der Weltbilder von Houellebecqs Protagonisten auf sämtliche Individuen, geht von der falschen Vorstellung aus, es gäbe nur eine Wirklichkeitswahrnehmung.

Es ist richtig zu sagen, dass die allgegenwärtige Werbung ein Bild des Menschen erzeugt, dass einen enormen Druck ausübt, sobald er sich ihm anzupassen sucht. Im Zuge der Ausdifferenzierung haben sich jedoch schon immer Nischen herausgebildet, in denen die Menschen sich dieser (Kunst)-Welt partiell entziehen können. Ob sie das, wenn sie die Mechanismen durchschauen, tatsächlich tun, steht auf einem anderen Blatt – ebenso wie die Möglichkeit des Scheiten bei diesem Versuch.

Die Menschen bei Houellebecq sind einsam. Als Informatiker oder Biochemiker sind sie gefangen in einer rationalen Welt, was sie einerseits vor falschen Illusionen bewahrt, andererseits aber einsperrt, denn die Logik würde irrationale Auswege wie Verdrängung oder Ignoranz als unlogisch verwerfen. Standen in den 70er und 80er Jahren noch soziale Diskurse auf der gesellschaftlichen Tagesordnung, werden diese nun sukzessive von genetischen oder informationstechnischen Diskursen abgelöst. Nicht zufällig soll ausgerechnet das Internet der afrikanischen Gesellschaft auf die Beine helfen, druckt die FAZ Teile des genetischen Codes ab und machen die Zeitschriften mediale Themen zu Leitartikeln. Zu diesen oft unreflektierten Zukunftsvisionen schafft Houellebecq mit seinen Figuren ein Gegengewicht. Gerade er, der scheinbar ernsthaft an eine Verbesserung der Welt durch die Technik glaubt, entlarvt diese technologische Welt als Wüste: seine Romane werden damit zu Seismographen der Gegenwart.

Kristian Kißling
Warum können wir bloß nie, nie geliebt werden?
HOUELLEBECQ KOMPLETT:

Abt. II
Auf der Suche nach Glück im Supermarkt: MH als Dichter und Essaist
Abt. III
Dies jämmerliche Leben: MH und die Langeweile auf Lanzarote
Abt. IV
Die Inszenierung des MH: Warum der Autor tot sein sollte, aber stattdessen immer lebendiger wird

 



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Gesellschafts-Kritik und Literatur in Zeiten des Konsums:
Das Modell Beigbeder / Houellebecq
Zuletzt geändert am 07.12.2000 ©u-lit