Malin Schwerdtfeger

Malin Schwerdtfeger:
Cafe Saratoga

Kiepenheuer & Witsch, 2001.
287 S.

Schwierige Mädchen

Malin Schwerdtfeger gehört zu den jungen Autoren, auf die Kiepenheuer konsequent wie kaum ein zweiter deutscher Verlag setzt. Vorsichtig baute man die 1972 geborene, bereits hochgehandelte Schwerdtfeger auf: zuerst erschien Anfang des Jahres ein schmaler Band Erzählungen im Taschenbuch, bevor jetzt mit Cafe Saratoga der erste Roman vorgelegt wird.

Schwerdtfeger: Cafe Saratoga Dieser Weg erweist sich als richtig, denn der Roman ist wesentlich stärker als die Erzählungen, lässt diese als Fingerübungen erscheinen, als Vorspiel. Malin Schwerdfeger´s "Leichte Mädchen" haben allerdings sowohl den Tonfall als auch das Generalthema dieser Autorin gesetzt. Es geht um Mädchen. Nicht um Girlies, nicht um Frauen, die Mädchen spielen, die das Mädchen-sein als strategische Identität nutzen, sondern ganz direkt um das Mädchen sein.

Es gibt angenehmerweise keinen Hinweis, wie autobiographisch "Cafe Saratoga" tatsächlich ist, aber die Erzählerin Sonia, ihre Schwester Maika und ihre Freundin Jane sind zu unverwechselbar einerseits, zu distanzlos andererseits geschildert, als daß man sie für völlig fiktive Personen halten könnte. Nimmt man dann noch einige der Mädchen-Figuren aus den Erzählungen hinzu, erhält man ein veritables Panorama eigenwilliger, merkwürdiger weiblicher Wesen zwischen Kindheit und Erwachsensein. Ohne jede Ironie ist das Mädchen-sein bei Malin Schwerdtfeger ein existentieller Zustand, der so intensiv erlebt - und geschildert - wird, daß man sich das Erwachsen-sein eigentlich nur noch als lange Phase der Erschöpfung vorstellen kann.

Ein in der Literaturwissenschaft oft und oft durchgekautes Thema der klassischen modernen Literatur von Frauen ist die Fixierung auf Neurosen, auf Hysterie, auf extreme psychologische Spannungen. Die 1972 geborene Schwerdtfeger knüpft an solche Traditionen durchaus an. Aber Virginia Woolf, H. D. und Silvia Plath sind lange her. Malin Schwerdtfeger schreibt in einem Umfeld, daß auch Lebert und Stuckradt-Barre impliziert. Der ganz große Unterschied zu ihren Altersgenossen, das, was sie zu etwas besonderem in dieser Generation macht, ist die unmittelbare Intensität, mit der sie schreibt.

Das Spiel mit den Codes der westlichen Pop- und Konsumkultur ist für Sonia, die Erzählerin des Romans, ein Spiel, das sie erst mühsam lernen muss, mit dem sie nicht grossgeworden ist. Sonia ist in Polen aufgewachsen. Ihr Leben ist gespannt zwischen die Pole, die ihre beiden geschiedenen Eltern bilden, die doch voneinander nicht lassen können.
Dominanter Teil dieser mühseligen Hassliebe ist Sonias Vater, eine äußerst ambivalente Figur, ein Schürzenjäger, ein Charmeur, ein Egozentriker, der sich permanent in privaten Mythologien und Spinnereien verliert. Sonias Mutter hingegen sieht ihre Lebensaufgabe darin, unter ihrem Mann zu leiden, bis hin zur körperlichen und seelischen Selbstaufgabe.

Es ist der Vater, der mit seinen Visionen, seinen Launen und seiner Weltsicht die Familie prägt, sie mitreisst, zum Guten wie zum Schlechten. Als Sonia etwa 13 Jahre alt ist, verschwindet der Vater, um auf der Ostsee-Halbinsel Hel ein herunter gekommenes Strand-Cafe zu übernehmen. Dieses Cafe soll ihm das nötige Kapital einbringen, um in das gelobte Land, die BRD, zu gelangen. Für Sonia und ihre jüngere Schwester Maika werden die Sommer auf Hel zum Paradies ihrer Kindheit und beginnenden Jugend. Der verrückte Vater und sein nicht minder verrückter Freund Bocian, der Aussenseiter des Ortes, regieren die Welt Schwestern; an ihnen orientiert sich deren erwachende Sexualität.

Malin Schwerdtfeger erzählt von dieser Welt sprunghaft, in Schüben, aber intensiv. Die Verwirrung, das Ausgeliefertsein an die beiden Männer, die Erprobung des eigenen Körpers in diesem dem normalen Leben entrückten Sommerparadies bilden den Kern des Buches. Hier bündelt sich die ganze Geschichte der Entwicklung der Mädchen. Das Leben danach, die Ausreise des Vaters in die BRD, das Nachkommen der Familie erscheint nur als logische Fortsetzung dessen, was auf Hel angelegt worden ist.

Was nicht bedeutet, daß dieser chronologisch letzte Teil der Geschichte nicht sehr interessant wäre. Die Erfahrungen der polnischen Aussiedler in Deutschland sind verstörend und beeindruckend, dabei ganz unspektakulär geschildert. Gerade dadurch, daß dieses als Pole in Deutschland leben nur en passant erzählt wird, im Rahmen der Geschichte eines Mädchens, wird die Verwirrung, das Fremdsein, die Ausgrenzung um so deutlicher. Hier endlich löst Sonia sich von ihrem dominanten Vater, der in Deutschland, am Ziel seiner Sehnsüchte angekommen, immer mehr zu einer lächerlich-tragischen Figur wird. Die DDR hat mittlerweile aufgehört, zu existieren, die Heldentat des Vaters, die Ausreise in den Westen, ist bedeutungslos geworden, seine Weltsicht ist ad absurdum geführt. Was bleibt, ist eine zerstörte Familie - und die Erinnerung an Hel. Die mittlerweile dem Teenager-Dasein entwachsene Sonia beschliesst, noch einmal nach Hel zurück zu kehren. Diese Reise in die Vergangenheit gibt dem Roman seinen Rahmen, auf den die Geschichte eines schwierigen, nervösen Mädchens gespannt ist.

Anders als meist in ihren Erzählungen, ist Malin Schwerdtfeger in diesem Roman durchaus anstrengend. Sie spart nicht mit unangenehmen Details, schont weder ihre Leser noch ihre Figuren. Die einzige Ausflucht, die sie beiden und wohl auch sich selbst gönnt, ist ein Hang zur Poetisierung, der schon in "Leichte Mädchen" sich hin und wieder störend bemerkbar machte, ein Tonfall, der etwas unentschieden zwischen ironischem Klein-Mädchen-Kitsch und Kunstmärchen schwankt.
Und trotzdem hat Malin Schwerdtfeger mit "Cafe Saratoga" ein ganz starkes, beeindruckendes Debüt vorgelegt.

UK

Autoren Informationen zu Malin Schwerdtfeger

"Leichte Mädchen" die Erzählungen von Malin Schwerdtfeger


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Erstellt am 28.05.2001 ©u-lit/