Eine Rezension von Jerome Charyn:
Der Tod des Tango-Königs.

Informationen zu Jerome Charyn
in der metro Reihe

Ein schönes
Interview mit Jerome Charyn
im Dalkey Press Archive

Schöne grausame Kindheit:


Jerome Charyn:
Die dunkle Schöne aus Weißrußland.

Alexander Fest, 2000.
130 S.

Wenn die New York Times über einen amerikanischen Autor schreibt, er sei " einer unserer interessantesten und wagemutigsten Schriftsteller", dann klingt das wie ein Todesurteil. Der Fall Jerry Oster ist noch in frischer Erinnerung: Mit eben diesen Worten in diesem Blatt völlig zu Recht gelobt stand Oster bald darauf ohne Verlag da und wird seitdem in seiner Heimat nicht mehr publiziert.

Jerome Charyn kennt das Problem schon lange: Neben einigen relativ erfolgreichen Büchern hat er immer wieder Romane, Erzählungen, Stücke und Filmscripts geschrieben, die nie veröffentlicht wurden.
Beide Autoren werden in Europa mehr geschätzt als in den USA. In Deutschland sind beide bekannt als große Neuerer des Krimigenres. Charyn hat darüber hinaus besonders enge Beziehungen zu Frankreich; Paris ist neben New York sein zweiter Wohnsitz. 1936 in der Bronx geboren ist Charyn in vielerlei Hinsicht ein Wanderer zwischen den Welten. Seine Eltern waren jüdische Emigranten aus Osteuropa. Bettelarm und kaum des Lesen und Schreibens kundig blieben sie in Amerika stets soziale und kulturelle Außenseiter. Diese Erfahrungen seiner Kindheit in den 40ger Jahren haben den Schriftsteller Charyn entscheidend geprägt.

"Die dunkle Schöne aus Weißrußland" ist Charyns Liebeserklärung an seine Mutter. Wie alle seine Bücher ist auch dieses in märchenhaftem, surrealistischen Ton gehalten. Es sind die staunenden und äußerst altklugen Augen eines Kindes, durch die wir eine Mutter von überirdischer Schönheit, von männermordender Grausamkeit und herzzerreißender Traurigkeit sehen. Geschildert werden die Jahre 1942 bis kurz nach Ende des Krieges. Die Bronx ist in diesem Buch ein magischer Ort voller Gewalt, in dem sich wohltätige Gangster, korrupte Politiker und Polizisten gegenseitig bekriegen, in dem bitterste Armut und glanzvolle Parties nebeneinander stehen. Meyer Lansky, der Kopf des Jüdischen organisierten Verbrechens, Tom Dewey, späterer Präsidentschaftskandidat und Roosevelt selbst sind neben lokalen Größen die Helden dieser Welt.

Beigegeben sind dem Buch einige Photographien aus Charyns privaten Album, voran gestellt ist ein Brief des Autors, in dem er angibt, dies sei sein erstes Buch über seine Kindheit, welches unter großen Schmerzen entstanden sei. Letzteres mag wahr sein, ersteres nur sehr bedingt. Die 40ger Jahre in der Bronx waren schon in einigen frühen Büchern Charyns sein Thema und in Interviews hat er erklärt, daß eben diese Zeit seine gesamte Existenz und seine Arbeit bestimmten. Über seine Mutter sagt Charyn, sie habe als Grundmuster für alle seine Frauengestalten gedient. Das Verhältnis zu ihr scheint, und das deutet besagter Brief auch an, von Liebe ebenso wie von Hass geprägt gewesen sein. Im vorliegenden Buch schildert Charyn sie so:" Sie war keine Heldin, die sich die Maske weiblicher Tugenden aufsetzte, die bescheiden war, zerbrechlich, stumm. Sie war ein Held, so raubgierig wie die Männer um sie herum, und ihre Schönheit war eine Infektion, gegen die sich niemand schützen konnte.". Sie verkehrt mit Gangstern und Schwarzmarkthändlern, sie vernachlässigt ihre Familie, sie setzt sich vehement für Andere ein. Charyns Vater dagegen erscheint als fast lächerliche Figur, ein Mann, der seine Befriedigung darin findet, als Luftschutzwart mit Helm auf dem Kopf und Taschenlampe in der Hand patrouillieren zu gehen.

"Schaut man sich die Biographie Charyns an, so wird deutlich, daß dieses Buch trotz der Authentizität verheißenden Photos sich keineswegs an einer den Fakten verpflichteten Darstellung orientiert. Der Autor sagt, er sein nie wirklich über diese Kindheit hinausgekommen, und das macht es natürlich unmöglich, eine Distanz zu der Sichtweise und den Gefühlen dieser Kindheit zu entwickeln. Das einzige im Leben, wovor er keine Angst habe, sei Schreiben, erklärte Jerome Charyn einmal. Hier ist der Ort, an dem das Kind Charyn allmächtig ist, der Ort, an dem er zaubern kann. Am meisten beeinflußt haben seine Arbeit Filme und Comics, die Verzauberung der realen Welt. Charyns Bücher verweigern sich nicht nur der Realität, sie verweigern sich auch den gängigen Regeln der Fiktionalisierung dieser Welt. Eben einer der wagemutigsten und interessantesten Schriftsteller.

 


Zuletzt geändert am 30.11.2000 ©u-lit