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u-lit Literatur Magazin







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brett easton ellis und tom wolfe im theater



Im Herbst ´99 waren zwei amerikanische Autoren in Hamburger Theatern zu Gast, Tom Wolfe und Brett Easton Ellis. Beide sind Autoren, die Aufmerksamkeit über die literarische Welt hinaus geniessen, Skandalautoren gewissermaßen. Ihre Lesungen hatten Ähnlichkeit zu den Auftritten von Popstars.
Das leckgeschlagene Leitschiff der Popintelligentsia, die Spex, verzeichnete Ellis "Glamorama" auf Platz 1, Wolfes "Ein ganzer Kerl" auf Platz 5 der Bücher des Jahres ´99.
Das ist im Falle Wolfes um so erstaunlicher, als daß sein Buch mit der Welt des Pop nichts zu tun hat. Sein Schauplatz ist Atlanta, sein Held ein Immobilientycoon und die Geschichte beschreibt dessen Fall.
Ellis Glamorama hingegen ist in der Welt der Models und Popstars angesiedelt, es werden Clubs besucht, Drogen genommen, Videoclips gedreht.
Beide Autoren lassen sich als Satiriker des Sozialen beschreiben, ihr Thema ist die US-amerikanische Gesellschaft. Tom Wolfe liefert einen Schlüssellochblick auf das Interieur der Macht, ein Soziogramm der HighSociety Atlantas. Ellis dagegen operiert ohne jede Distanz, sein Buch beschreibt nicht die Welt seiner Figuren, einige in New York und Europa lebende Models, es scheint direkt aus dieser Welt zu kommen.
Während Wolfe also die Rolle des spöttischen Begleiters der Reichen spielt, vermittelt Ellis den Eindruck, er sei ebenso ein Teil dessen, worüber er schreibe, wie er darunter leide. So könnte man sich als gemeinsamen Ahnen dieser beiden Autoren, Wolfe und Ellis, vielleicht Truman Capote denken mit seiner Mischung aus Verstrickheit in die Welt seiner Figuren und deren schamloser Verhöhnung. 

 
Brett Easton Ellis liest aus "Glamorama".
Deutsches Schauspielhaus
20.10.99

"Parkett ist voll, bitte in den Rang", sagt ein Uniformierter an einer der Schwingtürflügel, also hoch die Treppe, an einer Garderobe vorbei, wo eine Frau ziemlich beschäftigungslos herumsteht und einfach dienstbereit aussieht. Fast alle anderen Nachzügler, die hier noch rumlaufen, behalten ihre Anoraks, Dufflecoats, Stepmäntel, ihre Schals und Mützen an, es ist kalt draußen, ein eisiger, böiger Ostwind pfeift, ein kalter Halbmond steht über der Kirchenallee. Nur noch wenige Plätze ganz oben zentral sind frei, es riecht nach Hustenbonbons. Das Durchschnittsalter hier oben dürfte bei dreissig liegen.
Sie alle sind gekommen, um der Emanation einer Ikone beizuwohnen, des Autors, der die gegenwärtige Welle der angesagten deutschen Literatur geprägt hat. Sein Ruhm in Deutschland gründet sich fast nur auf "American Psycho", des Buchs, das 1991 veröffentlicht, die 80iger beschloss. Wie ein ein riesiger, schwarzer, vollverspiegelter Obelisk steht dies Buch seitdem in der kulturellen Landschaft. Und wird da auch stehen gelassen. Die extreme Grausamkeit, die völlige Verweigerung von Kommunikation, die komplette Demontage der sozialen Zusammenhänge, die das Buch vorführte, sind mittlerweile zu Gemeinplätzchen geworden, mit denen 10 bis 20 Jahre jüngere Autoren hausieren gehen. Deutschland hat seine eigenen Popstars. Das gilt auch in der Literatur, und Ellis nimmt hier in etwa eine Rolle ein wie Iggy Pop. 

Brett Easton Ellis und noch jemand betreten die Bühne, sie setzen sich auf zwei Stühle, es gibt einen nicht sehr langen Applaus, die Stimmung ist freundlich, etwas unaufgeregt. Ellis, er trägt wohl einen grauen Anzug, ist schwer zu sehen von hier, fängt ohne lange Vorrede an zu lesen, seine Stimme ist ruhig, ein wenig schleppend.
Fast mühsam kommen die Worte anfangs, als er aus Victors Erinnerung an Chloes Aufenthalt in einer Rehab-Klinik und dann aus ihrer beider Abendessen, immer noch in der Nacht vor der Club-Eröffnung liest. Allmählich wird Ellis schneller, besonders die Dialoge klingen lebens- oder soll man sagen: Sitcom-echt, er erntet vereinzelte Lacher.
Abrupt beendet Ellis sein Kapitel, und übergibt, ohne den höflichen Applaus abzuwarten, an den neben ihm Sitzenden, einen Schauspieler. Der ist offensichtlich gut vorbereitet, er trägt seine zwei Szenen eher vor, als daß er sie liest. Er stellt die Sätze in den Raum, macht kleine, effektvolle Pausen, zerrt den Text auf die Bühne, und nimmt ihm all seine klaustrophobische Flachheit, seine scheinbare Banalität.
Die Faszination von Ellis Büchern liegt darin, daß er eine Sprache gefunden hat für die Mischung aus Hyperaktivität und absoluter Langeweile, aus Masslosigkeit und tiefer Gleichgültigkeit, als die er das Leben in Amerika sieht. Diese Sprache fällt mit ihrem Gegenstand in eins, sie kommentiert nicht, sie desavouiert nicht. Sie bedeutet nicht, sie ist.
Nochmal liest Ellis. Eine Szene in Bruce Wohnung in Paris, Victor ziemlich fertig, verloren, auf der Suche nach Betäubung. Mehr Lacher aus dem Publikum jetzt. Dann eine Szene, die Ellis als Schlüssel für Victors Entwicklung ankündigt: Ein Nachmittag in einem Haus in Malibu Beach, der junge Victor hat gerade Chloe kennengelernt, er entscheidet sich für ein Leben als Star.
Da ist sie, die andere Seite des Skandalautors, des hippen Tabubrechers. Das, wovon sein erstes Buch, "Less than Zero" handelt, das Erschrecken über den Verlust der Unschuld, steckt als Grundton in allen Büchern, und das verleiht der eigentlich total eindimensionalen Erzählweise seine dubiose, schwer greifbare Ambiguität. Ein kleiner Junge, verloren in der großen bösen Welt: das ist es, was Ellis so unwiederstehlich macht.
Die Lesung ist zu Ende, es wird etwas länger geklatscht, es dürfen Fragen an den Autor gestellt werden, die Ersten brechen auf. Es gibt viel Gehuste jetzt, Nebenunterhaltungen kommen auf. Niemand lässt seine Frage von der zur Hilfe gekommenen Verlagsdame übersetzen, man spricht Englisch, fragt nach Patrick Bateman aus "American Psycho", ob die Filmteams in dem Buch imaginiert seien, was es mit Victors Double auf sich habe: Fragen, die in Uniseminaren und in Deutsch Leistungskursen erörtert werden.
Ellis antwortet ausführlich und geduldig auf die erst zögerlich, dann stetig gestellten Fragen. Mehr Leute verlassenn den Saal. Ob er viel recherchiert habe, wird gefragt. Ja, aber eigentlich reiche es, in Amerika zu leben, antwortet Ellis. Tom Wolfe sagte vor einer Woche in den `Link`Kammerspielen auf die frage, warum so viel mehr amerikanische Bücher in Eurpa gelesen würden als umgekehrt, Amerika sei eben, was Reichtum, Macht und Größe angehe, die führende Land, weswegen sich da dem Autor das beste Material biete. Es kommt denn auch die Frage nach Tom Wolfes Forderung nach sozial realistischen Romanen, aber das wehrt Ellis höflich ab mit dem Hinweis, es gebe keine verbindlichen Rezepturen für Romane.
Weitere Mäntel werden von den Stühlen gegriffen, Abschiedsküsse getauscht, Verabredungen getroffen. Ellis macht noch eine tiefe Verbeugung vor Don DeLillo und Philip Roth, weist auf die folgende Signierstunde hin, und dann ist es vorbei, und durch die Schwingtüren und durch die Drehtüren strömen die Leute auf die kalte Kirchenallee.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Tom Wolfe:
"A Man in Full".
Hamburger Kammerspiele, Oktober´99 

Breite Schultern, ein kräftiger Nacken, die Ärmel des Pullis über die Ellenbogen hochgeschoben, die sehnigen goldbraunen Unterarme auf die Oberschenkel gestützt: so wartet einer in der ersten Reihe auf den Auftritt des Autors von "Ein ganzer Kerl". Eine Frau neben ihm, die Beine seitlich übereinander geschlagen, hat ihren Arm auf seinen Rücken gelegt, oberhalb ihrer wulstigen Sportuhr verschwinden ihre Finger in seiner locker sitzenden, perfekten Frisur, kraulen unablässig. Hin und wieder bewegen sich ihre vollen, passend zur Haarfarbe bräunlich geschminkten Lippen; sein Kopf senkt sich, er blickt zu Boden, antwortet mit einer Vierteldrehung des Halses. Die Luft ist schwer von After-Shave, Body Lotions, Parfums, allgemeines Stimmgewirr, man lacht, ist entspannt. Immer wieder kommen Nachzügler, Jackets werden ausgezogen, Haare zurückgestrichen, Röcke glattgezogen. Schließlich tut sich was auf der Bühne, ein großer, etwas düster dreinblickender und gekleideter Mann tritt an den Rand und sagt mit leiser, aber tragender Stimme den Auftritt an, sagt, das er es kaum für möglich gehalten habe, endlich Tom Wolfe in seinem Hause begrüßen zu dürfen. Es ist eine kurze Ansage, zurückhaltend, fast bescheiden, mit untergründig vibrierenden Emotionen.
Und dann kommt er, der Autor, natürlich in weiß, geht direkt durch den aufbrandenden Applaus an den Bühnenrand, wo ein Pult auf ihn wartet, er lächelt, das Publikum klatscht, er hebt die Hand, halb grüßend halb winkend, das Publikum klatscht weiter, Wolfe senkt lächelnd den Kopf, das Publikum klatscht immer noch, Wolfe sagt, wenn das immer so sei in Deutschland, wolle er hier gar nicht mehr weg, das Publikum klatscht lauter, während neben dem Pult an einem kleinen runden Tisch ein jüngerer Mann in einem eleganten dunklen Anzug Platz nimmt, zu Wolfe aufblickt und verhalten, aber mit innigem Lächeln ebenfalls klatscht.
Etwas später, Wolfe hat aus dem bereitstehenden Glas ein Schluck Wasser getrunken, beginnt er mit einer Einführung in die Szene mit dem Workout Department in der Planners Bank. Er flicht kleine Scherze ein, gestikuliert sparsam, legt hin und wieder die Hände locker übereinander, neigt den Kopf, die gelblich blonden Haare fallen ihm in die Stirn. Sein Publikum reagiert sofort, Dankbarkeit, Verständnis, Sympathie schwappt in großen Wellen durch den Saal, es wird viel und laut gelacht, natürlich bereitet Wolfes manchmal etwas altmännerhaft undeutliches Englisch niemandem die geringsten Schwierigkeiten. Alles ist einfach großartig, und mein Gott, ist das nicht irre, wie es da zugeht in der Welt des ganz großen Geldes, wie der Großkopfete ganz klein gemacht wird. Da stört es auch nicht, daß Wolfe sich hin und wieder verhaspelt, daß seine Versuche, die verschiedenen Stimmen und Tonlagen seiner Figuren darzustellen, nicht immer gelingen. Nein, als der Autor mit einer kaum angedeuteten Verbeugung endet, setzt erneut Klatschen ein, warm und begeistert, das minutenlang nicht aufört
Aber Wolfe hat es nun eilig, mit der geöffneten Rechten weist er auf den Jüngeren, tauscht mit ihm die Plätze, setzt sich an den runden Tisch, schlägt die Beine übereinander, tritt sozusagen in den Hintergrund. Jemand kommt von hinten auf die Bühne geeilt, tauscht noch schnell die Gläser zwischen Pult und Tisch, das alles, während der Applaus immer noch rauscht, der Jüngere immer wieder in Richtung des sitzenden Wolfe weist, eine kleine Bemerkung auf deutsch in seine Richtung macht, die Wolfe nicht versteht, und schließlich mit geübter Schauspielerstimme zu lesen beginnt, aus der Szene bei der großen Eröffnung der Wilson Lapeth Ausstellung
Etwas wie Entspannung durchweht den Saal, die klare Artikulation, die sicher gesetzten Pointen im Vortrag und, ja, die doch vertraute Sprache lullen das Publikum nicht ein, man ist immer noch gefesselt, es wird immer noch gelacht, aber es ist etwas einfacher geworden, vorgekaut gewissermaßen, man verlagert öfter mal das Gewicht auf dem nicht wirklich bequemen Gestühl, und irgendwie sehen die Socken, sind das überhaupt Socken, oder nennt man das Gamaschen, sind die eigentlich irgendwie durchbrochen, ein bisschen wie Spitzendeckchen, also man selber würde sowas ja nicht tragen wie der Wolfe da an seinen fast etwas tuntig übereinandergeschlagenen Beinen, und da an seinen Händen die Haut, schon etwas faltig, ob es da Altersflecken hat, aber halt, da ist es zuende, großer Applaus, tolles Buch, finden die anderen auch, man schüttelt noch mal kurz den Kopf, lächelt vielleicht noch mal kurz in sich hinein, lauscht dem Gesprochenen nach, während der Vorleser den Applaus weiterleitet an die richtige Adresse, Ehre wem Ehre gebührt, und schließlich die Bühne nach hinten verläßt.
Jetzt kommt noch das Gespräch, ein dritter Mann kommt an das Tischchen, auch er erhält ein eigenes Glas, auch er ist deutlich jünger als Wolfe, auch er trägt einen dunklen Anzug. Aber sein Gesicht, seine ganze Figur ist rund, also man könnte sagen, schwabbelig, ein bisschen, und er trägt die Haare sehr kurz, eigentlich nicht sehr attraktiv, und er spricht irgendwie vorsichtig, sein Englisch klingt so, äh deutsch! Gut, er ist Literaturkritiker, und er stellt Fragen, die gespickt sind mit Zitaten und kleinen Anspielungen, er spielt seinem Gesprächspartner die Bälle zu, er bohrt nicht in dessen Statements herum, und außerdem, möglicherweise ist er eh schwul, was ja nichts macht, schließlich ist er ja Literaturkritiker.
Das Gespräch ist gut, prima, gute Sachen sagt der Wolfe, über den Kunstmarkt, und über den Kapitalismus, der nämlich gar kein Ismus ist, sondern einfach etwas, was die Menschen machen, und das schlechteste System abgesehen von allen anderen, die man ausprobiert hat. Und die Literatur, zum Beispiel die deutsche, die - und da sucht der Tom Wolfe, mittlerweile breitbeinig sitzend, die linke Hand auf dem Knie, ein deutsches Wort, das ihm gestern jemand beigebracht hat - die "Batr.., die Bidro.., die..", die Betroffenheitsliteratur, fällt jemandem aus dem Publikum ein, Hälse werden gereckt, Köpfe gedreht, ja, die ist natürlich Mist. Ein leichter Schatten fällt auf den Glanz des Einverständnisses, als der Kritiker - schwitzt der eigentlich, müßte er ja, bei dem Gewicht - nach Wolfes Dialogen fragt, wie er eigentlich die ganzen Stimmen so genau hinkriegt zum Beispiel bei der Partyszene, und der sagt, da müsse man eben zuhören lernen, und er habe je angefangen, bei solchen Parties manchmal ganz still zu sein, und da falle einem dann auf, wieviel und geradezu zwanghaft die Menschen bei solchen Anlässen lachten. Schließlich stellt der ja doch ganz gute Literaturkritiker eine wirklich gute Abschlußfrage, eine richtig große Frage, wenn sich nämlich jetzt und hier, auf dieser Bühne eine gute Fee materialisieren würde, und würde ihm, dem Tom Wolfe einen Wunsch zu erfüllen versprechen, ob er dann auch, wie ein anderer wohl berühmter Schriftsteller, sich die Abschaffung des Todes wünschen täte. Worauf der Wolfe sagt, das sei ja fast schon in Arbeit. und nein, er würde sich wünschen, daß dieses Zeitalter mit seinem wahnsinnigen - materiellen - Reichtum nicht aufhörte, weil das die Human Comedy befördere, und die, die Human Comedy soll ewig weitergehen.

Zuletzt geändert am 20.02.2000 © UK