Druck und Entladung


Tristan Egolf:
Monument für John Kaltenbrunner

Roman. Suhrkamp, 2000.
502 S.

Druck, permanenter Druck und seine Entladung, das ist Tristan Egolfs Thema. Sein Debutroman erinnert stark an amerikanischen Punkrock der 90iger: laut, drastisch, bierselig und ohne große Variationen in Ton und Tempo. So etwas eignet sich eigentlich eher für die kurze Form, den 3 Min. Song bzw. die Kurzgeschichte. Egolf hat es geschafft, Impetus und Drive über 500 S. durchzuhalten.

"Monument für John Kaltenbrunner" fängt mit dem Ende an: Die Ruhe nach der Schlacht, die ersten Aufräumarbeiten nach der Verwüstung. Der Schauplatz ist Baker, eine Kleinstadt im Cornbelt der USA, ein hinterwäldlerisches, bigottes, versoffenes Nest. Weite Teile der Stadt stehen unter Wasser, die Einwohner ersticken im Müll, Ungeziefer und Aasfresser schicken sich an, die Herrschaft zu übernehmen, auf den Straßen herrscht blanke Anarchie. Der Mann, der das alles verursacht hat, ist von der Bildfläche verschwunden. Seine wenigen Freunde in der Stadt unternehmen den Versuch, sein Leben und die Ereignisse, die ihn dazu gebracht haben, aufzuzeichnen.

Egolf ist ein 27 jähriger Ex-Rocker, der den klassischen Bildungsweg amerikanischer Literaten beschritten hat, er ging nach Paris, lebte von der Hand in den Mund und fing an zu schreiben. Nach eigener Aussage arbeitete er nie zuvor so hart wie in dieser Zeit. Das merkt man dem Text an. Die eigentlich exessive Phantasie ist in eine ausschweifende, aber sorgfältig kontrollierte Sprache gegossen. Und man muß es Egolf hoch anrechnen, daß er es unterlassen hat, einfach seine eigene Lebensgeschichte auf zuschreiben, wie es ansonsten bei Erstlingen junger Autoren üblich ist. Statt dessen hat er eine wirklich originelle Figur geschaffen, die bei aller comicartiger Überlebensgrösse nie ins plakative abrutscht.

John Kaltenbrunner wächst nach dem frühen Tod seines skandalumwitterten Vaters auf einer Farm am Rande Bakers auf. Schon als kleiner Junge entwickelt er sich zum Einzelgänger, der seine ganze Energie der Wiederherstellung der Farm widmet, und diese zu einem blühenden Betrieb macht. Darunter leidet jedoch seine schulische Ausbildung, was zu erheblichen Repressalien seitens des tyrannischen Schulleiters und seiner Mitschüler führt. Als seine Mutter schwer erkrankt, nisten sich raffgierige Betschwestern in Johns Farm ein, die schließlich sich das ganze Anwesen unter den Nagel reißen. John wehrt sich verzweifelt, bis es schließlich zu einem großen Shootdown mit Polizei und FBI kommt. John verschwindet hinter Gittern und zwecks Resozialisierung auf einem Flussboot, bis er Jahre später unerkannt in die Stadt zurückkehrt.

Die Einwohnerschaft von Baker zerfällt in mehrere Gruppen: Da sind die Flußratten, völlig außerhalb der Gesellschaft lebende Hinterwäldler; dann die Schmalzköppe, am Rande der Gesellschaft lebende, Drecksarbeit verrichtende Hispanics, dann die Fabrikratten, nur knapp oberhalb der Schmalzköppe angesiedelt, die Trolls, auch als White Trash bekannt, schließlich die Methodistenvetteln, frömmlerische Aasgeier.
Die Säulen Bakers, Polizei, Bürgermeister, Arbeitgeber, Kirchen und Schulen halten das ganze mit einer Mischung aus Tyrannei, Korruption, Ignoranz und fanatischem Lokalstolz zusammen.

Als John in diese Gesellschaft zurückkehrt, "hauste er geräuschlos in den hintersten Winkeln von Baker, deren bloß Existenz die meisten Einwohner von Baker am liebsten leugnen würden. Er pflügte sich durch die Arbeitswelt vom Fließband zum Schlachthaus, vom Schweine-Imbiß zur Kanalisation. Er überstand einige harte Prüfungen, die einen Großteil der Bürger schlichtweg umgebracht hätte. Sein ganzes Leben war und blieb eine unvorstellbar üble Pechsträhne, im wahrsten Sinne des Wortes. Und so ging es immer weiter und weiter und weiter, jahrelang, über das Absurde hinaus bis an den Rand des praktisch Unmöglichen, bis all die sauren Äpfel, die Armut und der Dreck, die endlose Suche - bis sich jenes Hochoktangemisch, das ihm ein Tankstutzen namens Baker großzügig einflößte, schließlich entzündete und in die Luft flog, daß die ganze Gegend erzitterte."

Diese Explosion wird verursacht durch einen Streik der Müllmänner, den John anführt. Der Streik erschüttert das ohnehin marode soziale Gefüge Bakers derartig, daß am Ende kein Stein auf dem anderen bleibt: John Kaltenbrunner, der Nonkonformist, der geschundene und verjagte Sohn der Stadt, hat sich endlich gerächt.

Anders als etwa ein Tom Sawyer wird John Kaltenbrunner nicht in die Ewigkeit eingehen, aber es ist ein beachtliches Denkmal, das Tristan Egolf ihm gesetzt hat. Es ist der wütende und manchmal ziemlich komische Protest gegen sozialen Druck und Konformismus eines sprachgewaltigen Autors, der eigentlich nur zwei Schwächen zeigt: Er behauptet zuviel und vertraut zuwenig der Kraft des Erzählens, und er kennt noch keine Zwischentöne und Variationen.















Ein Interview mit
Tristan Egolf

und
Egolf über Punk


Zuletzt geändert am 03.09.2000 ©u-lit