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Georg M. Oswald:
Alles was zählt.
Roman. Hanser, 2000. 192 S.
DDer Graben, der in unserer Gesellschaft Arme und Wohlhabende voneinander trennt, verbreitert sich jeden Tag. Synchron ignorieren oder marginalisieren wir – und das sind insbesondere die Medien - die Folgen dieser Armut zunehmend. Zum Sinnbild dieser Entwicklung sind die noblen innerstädtischen Einkaufspassagen geworden, wo private Wachschützer Personen die Tür weisen, die sich nicht den Anschein von Kaufkraft geben. Eine Diskussion findet nicht statt.
Vielmehr springen immer neue Zeitschriften und Journale auf den fahrenden Yuppie-Train auf. So zeigte der Titel einer Hochschulzeitschrift neulich einen jungen Mann im Anzug, in der rechten Hand ein Bank-Hochhaus , in der Linken eine Garage jonglierend, dem die Frage im Gesicht stand, ob er nun bei einem Großunternehmen einsteigen, oder sich selbständig machen solle. Start-Up’s sind im Trend, ebenso wie After-Work-Partys, damit um 0 Uhr alle im Bett und am nächsten Morgen arbeitsfähig sind. Der neue Mythos ist der Alte. Der amerikanische Traum: das Geld liegt auf der Datenstraße, ihr müßt es nur aufheben.
Der Yuppie und wie er die Welt sieht, scheint mittlerweile auch ein paar Autoren zu interessieren, wohl nicht zuletzt inspiriert durch Bret Easton Ellis‘ Roman „American Psycho“, in dem sich ein Young Urban Professionell durch die Markenwüste metzelt.
Auch Georg M. Oswald („Lichtenbergs Fall“,„Party Boy“), Vertreter der „Neuen Literatur“ in Deutschland hat sich gefragt, wie es wohl im Kopf so eines Anzugs aussieht. Sein Protagonist - Thomas Schwarz - kommt gleich zur Sache: „Ich bin stellvertretender Leiter der Abteilung Abwicklung und Verwertung, und ich habe vor, Leiter der Abteilung Abwicklung und Verwertung zu werden.“ Keine Frage, Thomas Schwarz ist DRINNEN , wie der erste Teil des Romans übertitelt ist. Zusammen mit seiner Frau Marianne, die in einer Werbeagentur arbeitet und wie er nur für die Karriere schuftet, lebt er in einer Wohnung, die „ihr zuwenig »repräsentativ«“ ist und denkt darüber nach, sich scheiden zu lassen.
Seine Abteilung übernimmt im Auftrag der Bank die Fälle von Leuten, bei denen „das Engagement nicht mehr vertretbar“ ist. Im Klartext heißt das: sie frieren den Schuldnern die Gelder ein, streichen geplante Kredite und pfänden ihre Besitztümer. Thomas Schwarz ist ein Vollstrecker, und er mag seinen Job: „Wenn ich so darüber nachdenke, finde ich meinen Job wirklich großartig. Er ist wie ein Sport, ich quetsche die Leute aus bis zum letzten Tropfen Blut, und wenn keiner mehr glaubt, daß da noch was geht, schüttle ich ihn kräftig, und siehe da, es kommen noch ein paar.“
Sein Glück währt nicht lang, denn die Leiterin der Abteilung setzt ihn auf einen aussichtslos-verworrenen Fall an, den er nicht lösen kann, er wird gefeuert. Zeitgleich wird seine Frau aus der Agentur geworfen, weil ihr ein Fehler unterlaufen ist. Die marode Ehe zerfällt augenblicklich, Marianne flüchtet zu ihrer Tante, Schwarz bleibt allein zurück.
Der zweite Teil des Romans ist mit DRAUßEN überschrieben. Schwarz läßt sich mit Uwe und Anatol ein - zwei Kleingangstern -, denen er als Bankier keinen Betrug nachweisen konnte. Er soll nun seinen ehemaligen Kollegen Bellmann, der den Fall übernommen hat, abwimmeln und verliert die Kontrolle über die Situation. Schließlich spielt er Uwe und Anatol gegen Bellmann aus, erbeutet 300.000 DM und verschwindet mit der Hobby-Prostituierten Sabine nach Monaco.
Im Gegensatz zu „Partyboy“ ist dieser Roman des Autors sehr flüssig zu lesen, stilistisch scheint Oswald sich weiterentwickelt zu haben. Dass der Roman aus Schwarz‘ Ich-Perspektive erzählt wird, ist wohl ein Gegenwartsübel und würde der Sache keinen Abbruch tun, wenn klar wäre, weshalb und wann der Ich-Erzähler diesen Zeilen verfaßt hat. Aus der Logik des Romans heraus, schreibt er seine Erlebnisse auf der Autofahrt nach Monaco nieder, was nicht viel Sinn ergibt.
Die eingestreuten direkten Wendungen an den Leser sollen diesen wohl davon überzeugen, dass er auch nicht besser ist und vermutlich Betroffenheit auslösen.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem zeitweiligen Dahinfloskeln der Sprache und den formelhaft geschilderten Lebenssituationen der Akteure. Es sind Werbe- und Filmstandards, mit denen hier operiert wird. Vielleicht, weil die Protagonisten in einer Welt der Oberfläche leben und medialen Sollstellen hinterher jagen, anstatt ein Innenleben auszubilden.
WWürde man Schwarz und seine Freundin nach persönlichen Interessen befragen, es käme nichts. Um sich aufzumuntern, lesen sie in einem Band mit täglichen Sinnsprüchen: „Du bist ein außergewöhnlicher Mensch und weißt, daß der heutige Tag für dich erfolgreich sein wird. Freue dich darauf.“
Schwarz beneidet die Verwandten seiner Frau, ältere Leute, die es im Leben „zu etwas gebracht“ haben, sich keine finanziellen Sorgen machen müssen und die von der Höhe ihrer kreativen Berufen auf den Bänker hinab sehen: „Muß es auch geben.“ Ernst nehmen sie ihn erst, als er ihnen Kontakte zu Schweizer Banken vorlügt. Letztlich geht es auch beim Geistesadel nur um Geld, stellt er fest.
Seine Hybris ist Produkt seiner Arbeit, gottgleich überschaut er die wa(h)ren Verhältnisse seiner Mitmenschen, die diese zu kaschieren versuchen, und taucht wie ein Racheengel mit seinen Vollstreckern auf, um Schuldnern den Geldhahn abzudrehen.
Schwarz kennt die Kehrseite der strahlenden Oberflächen - auch aus seinem Privatleben. Seine Beziehung zu Marianne lebt vom Kredit auf seine Zukunft und sein Freund Markus pumpt sich Unmengen Geld von ihm und führt als erfolgloser Drehbuchautor dennoch das Leben, das Schwarz insgeheim vermisst. Die Beziehung zu seinem Kollegen Bellmann beruht dagegen auf dem Austausch nützlicher Informationen.
Durch seine Kündigung verliert Schwarz alles was er hat und was er ist. Sein Job bringt das Geld und finanziert den Erfolg, der seine Identität ausmacht. Unfähig umzudenken, läuft er in seinem Anzug durch die mittägliche Stadt. Doch das Bild des straighten Geschäftsmannes verblasst ohne den Job.
Also läßt er sich von Uwe und Anatol gut dafür bezahlen, dass er Bellmanns Verdacht zerstreut und lernt über sie die Hobby-Prostituierte Sabine kennen. Im Grunde, so denkt er sich, macht es doch keine Unterschied oder wäre es geradezu naiv, sein Geld auf ehrliche Weise verdienen zu wollen. Hauptsächlich es gibt immer genug davon. Seine Flucht nach Monaco tritt er schließlich mit dem Ziel an, alles auf eine Karte zu setzen: Reichtum oder ...? Die Alternative bleibt im Dunkeln.
Schwarz ist als statischer Protagonist nicht lernfähig. Egal ob DRINNEN oder DRAUßEN, was für ihn zählt ist der richtige Lebensstil. So bleibt er denn ein Hochstapler. Mit seinem Nicht-Lernen ist es wie mit der Klischeehaftigkeit. Er ist unfähig zu lernen, obgleich er seine Situation recht gut erfaßt: „Dennoch: Manche Leute mit vorzeigbaren Lebensläufen wie meinem werden mit Zwangs- und Angstneurosen in geschlossene Anstalten eingeliefert, andere erschießen sich vor laufenden Kameras auf dem Dach einer –sagen wir – Bank, die sie zuvor mit einer Strumpfmaske über dem Kopf ausgeraubt haben [...]“.
Unter dem Zwang, Oberfläche zu sein, leidet Schwarz, wie er – der arbeitslose Flaneur - nach seiner Kündigung zu verstehen gibt: „Mein Aussehen, meine Kleidung, mein Auftreten weisen auf einen Mann hin, der einer gesellschaftlichen Elite angehört. Die Fakten belegen, daß ich ein solcher Mann nicht bin. Mein Mimikry ist meine Behinderung, und wenn Sie glauben, ich könnte mich ja einfach umziehen, haben Sie gar nichts verstanden.“
Das aber, was er selbst nicht versteht, ist seine Unfähigkeit, sich zu ändern. Er unterwirft sich passiv seiner Mimikry. Denn so, wie es schließlich seine Frau ist, die die Trennungsinitiative ergreift, ist er auch – im Gegensatz zu seinem Freund Markus - unfähig, aus seiner Rolle zu treten. Er leiht ihm immer wieder Geld, weil Markus die Fähigkeit zur selbstreflexiven Veränderung besitzt.
Die Flucht nach Monaco ist schließlich der Versuch eines Bruches, nachdem er sich selbst in eine Zwickmühle manövriert hat. In der Vorstellung seines dortigen Ruins lebt die Hoffnung, eine Identität zu finden. Ob das allerdings gelingen wird, bleibt fraglich, denn schon auf der Fahrt überlegt er sich Alternativen zum ursprünglichen Plan.
Insgesamt ist das Buch also, wenn auch thematisch nichts Neues, dennoch unterhaltsam und als Kommentar zur Gegenwart durchaus lesbar.
Kristian Kißling
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