Globalisierung und Holocaust - gehört das in einen Topf geworfen? Sagen Sie selbst!
u-lit Diskussion

Francois Emmanuel:
Die Würde des Menschen.
Roman.
Kunstmann, 2000.
99 S.

Die Zurschaustellung eines Erschreckens


Der Kunstmann Verlag hat mit Rafael Chirbes und Roberto Bolano gleich zwei Autoren im Programm, die sich auf hervorragende Art und Weise mit Faschismus beschäftigen. Von Francois Emmanuel hingegen lässt sich das nicht behaupten Im Grunde verrät schon der Umschlag das Dilemma dieses Buches.

Zunächst handelt es sich, anders als angegeben, eigentlich nicht um einen Roman, und das nicht nur wegen der mangelnden Länge des Textes, die die Bezeichnung Novelle angemessener erscheinen lässt. Tatsächlich werden hier zwei Ideen zusammengeführt und eher notdürftig in eine Rahmenhandlung gezwängt. Die eine Idee besteht darin, einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Massenmord an Juden und Anderen durch die Nazis und der Art und Weise, in der Menschen in modernen Grossunternehmen gesehen und eingesetzt werden.

Die andere Idee stammt weniger aus dem Bereich der Politik als aus den Kulturwissenschaften, genauer gesagt aus dem Schnittpunkt zwischen Literaturwissenschaft und Psychoanalyse. In einem strukturalistischen Verfahren bringt das Buch Texte aus Anweisungen zur technischen Durchführung der Massentötungen von psychisch Kranken während der Naziteit zusammen mit verschiedenen internen Texten eines modernen Grossbetriebes. Diese Texte überlagern sich, "infizieren" sich gegenseitig. So soll eine zugrunde liegende Gleichartigkeit der Logik demonstriert werden und letzten Endes eine sich darin manifestierende Unmenschlichkeit.


Auf der Ebene der Handlung haben wir es mit einem Erzähler zu tun, der als Betriebspsychologe aufgefordert wird, die geistige Gesundheit eines Direktors der Firma zu überprüfen. Dieser war massgeblich daran beteiligt, die Firma durch Massenentlassunhgen wieder rentabel werden zulassen. Der Direktor erhält anonyme Briefe, die die erwähnten, sich überlagernden Texte enthalten und wird dadurch destabilisiert und bis zum versuchten Selbstmord getrieben. Anschliessend erhält der Psychologe selbst solche Briefe, worauf hin er den Sinn seiner Arbeit anzweifelt, gefeuert wird und schliesslich eine schlecht bezahlte, aber ihn glücklich machende Stelle in einem Heim für autistische Kinder antritt.

"..die Erzählung folgt einer Ordnung, die weniger der Chronologie der Tatsachen als einem langsamen erschreckenden Bewußtwerdungsprozeß entspricht", sagt das Buch zu Anfang, ohne dieses erzählerische Prinzip dann durchzuhalten. Bewusst wird man sich für gewöhnlich bestimmter Gegebenheiten, Wahrheiten; entsprechend ist der Tonfall des Buchs der eines Berichtes, knapp und nüchtern.


Nur geht es Emmanuel nicht um wirkliche Gegebenheiten, um eine ernsthafte Untersuchung seines Themas. Es geht eigentlich um das Zurschaustellen eines Erschreckens über die Einteilung von Menschen nach dem Kriterium der Nützlich- bzw. Überflüssigkeit. Mal ganz abgesehen davon, dass auch moderne, "global" arbeitende Großbetriebe keineswegs bürokratisch organisierten Massenmord betreiben, diese Ineinssetzung zwischen NS-Todesmaschinerie und moderner Arbeitswelt also eine dümmliche Beleidigung der NS-Opfer darstellt, ist das Ausstellen eines Erschreckens nichts, woraus sich gute Literatur gewinnen lässt.

Im Hintergrund und auf dem Umschlagbild dieser Erzählung schimmern die Alpträume Kafkas und die Antiutopien eines Orwell durch. Nur haben diese beiden ihre Ängste erzählt, daraus Literatur gemacht. Francois Emmanuel hingegen, schreibender Psychiater und Psychoanalytiker aus Brüssel, hat einen zwar emphatischen, aber nicht besonders durchdachten Essay als Erzählung getarnt.

 


Zuletzt geändert am 06.08.2000 ©u-lit