Christian Mähr: Die letzte Insel
DuMont, 2001. 213 S.
Biete Heimat. Suche Insel.
Sich einen Mann vorzustellen, der einfach so verschwindet. Nicht unbedingt schwer. Taucht er aber auf einer Insel ab, die es gar nicht gibt, dann wird es schon phantastisch. Deshalb nahm ich mir Zeit, die ich eigentlich nicht hatte: Wirtschaftsenglischklausuren standen an, dazu irgendwo auf der grünen Wiese Telefone verkaufen, damit die Miete rein kam und obendrein war ich verliebt, in einen Mann, der heute in Bochum und morgen in Cannes die letzten Freiminuten meines eingeschränkten Tages in Anspruch nahm. Kleine Fluchten kamen mir also gelegen und jene Insel, ohne Frage.
Ich steckte meine Nase fortan statt in „Marketing and Salesstrategies“ in den neuen Roman von Christian Mähr „Die letzte Insel“. Das man sich in Vorarlberg gern haarsträubende Geschichten erzählt, vermutlich in einer Welt aus Traumgebilden überlebt, ist mir spätestens seit Robert Schneiders Roman „Schlafes Bruder“ bekannt. Auch, daß man bei einer Schreibblockade am besten auf Reisen geht, ist ziemlich verbreitet.
Christian Mähr - Doktor der Chemie, heute freier Mitarbeiter des ORF –entführt den Leser leicht und unterhaltsam, niemals in die Länge gezogen mitten im naßkalten Winter auf die sonnige Insel Playa del Inglès. „Ich bin wieder hier. Ich habe mich überwunden. Ich hätte auch daheim bleiben können.“ Ablenkung in der vertrauten Fremde. Damit hofft der Autor die literarische Leere im Kopf zu überwinden: andere Bettwäsche, andere Lichtschalter und neue Freunde, die mitunter unter falschen Namen unterwegs sind. Angeschleppt von seiner Frau Barbara. Ihm sind solche Aktivitäten suspekt und immer wieder kehrende abstumpfende Rituale: „Barbaras soziale Kontakte. Wir waren noch keine fünf Minuten hier! Ich weiß so sicher wie meinen Namen, daß ich an diesem Strand einen ganzen Sommer baden könnte, ohne eine Menschenseele kennenzulernen – nicht einmal um Feuer würde mich jemand bitten.“
Doch er fügt sich, weil er mit ihr verheiratet ist (Noch!). „Wie gelähmt“ Einzige Fluchtmöglichkeit, wieder eine Insel. Die kann sie nicht sehen und viele andere auch nicht. Sie existiert nur in den Köpfen von allzuwenigen Menschen. Eine davon ist Frau Ventora. Sie sah nicht nur die Insel, sie sah auch verstorbene Verwandte. Außerdem schrie Frau Ventora laut beim Sex. Das war anders als bei Barbara.. Alles war plötzlich anders, da wurde die schöne Ferieninsel von einer geheimnisvollen Krankheit heimgesucht, drei Menschen verschwanden, lebende Tote tauchten auf und es gab salbungsvolle Schlußsätze. „Ein Licht. Auf der Insel hat ein Licht gebrannt. Für mich. Komm! sagte dieses Licht. Es war sehr ruhig. Was soll ich noch sagen? Ich werde die wiedersehen, die ich geliebt habe und jene erwarten, die ich liebe. Habe ich vor langer Zeit gelesen, weiß nicht, wo.“
Sollten sie auch meine Flucht auf die Insel jäh beenden? Pastoren sagen am Ende „Amen.“, eine ganz blonde Moderatorin im öffentlich-Rechtlichen „Alles wird gut.“ und Christian Mähr „Macht nichts, macht nichts, wenn es uns nur gut geht dabei.“ Die Englischklausur habe ich jedenfalls bestanden und die Liebe ist immer noch schön.
Wer aus irgendwelchen Gründen manches Gedruckte von hinten anfängt zu lesen, sollte das hier nicht tun. Es würde ihm etwas entgehen: Vorarlberger Phantasie.
Kerstin Kitscher
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