themen

u-lit Literatur Magazin








- Dies ist meine letzte Botschaft vom Planeten der Monster. Nie wieder werde ich in die uferlose Scheiße der Literatur eintauchen.
Roberto Bolano, Stern in der Ferne.

- Art is dangerous and believe me: poetry sucks too
Defoliants



Roberto Bolaņo:
Stern in der Ferne
Roman
Aus dem Spanischen von Christian Hansen, 176 Seiten,
DM 32,- Original: "Estrella distante", Anagrama 1996

Die Naziliteratur in Amerika
Roman
Aus dem Spanischen von Heinrich v. Berenberg, 240 Seiten, DM 38,–


Ein Interview mit Bolano
ist hier zu lesen.

Roberto Bolanos Bücher der Monster und Dämonen.


Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Niemand, niemand! Doch, Roberto Bolano hat. Denn der schwarze Mann kommt nicht aus dem kollektiven Unterbewusstsein, heisst nicht Hannibal Lector und verfügt über übermenschliche Fähigkeiten; der schwarze Mann ist Faschist. Und manchmal ist er auch Dichter. So wie die Figuren in Bolanos Büchern "Die Naziliteratur in Amerika" und "Der Stern in der Ferne".

In beiden Büchern geht es dem 1953 in Chile geborenen Bolano um eine der merkwürdigsten und beunruhigendsten Erscheinungen des letzten Jahrhunderts, nämlich die Verbindung von Kunst und Faschismus. Oder auch das Verschwinden der Grenzen zwischen Realität und Fiktion auf den Feldern der Kunst und der Politik.

"Die Naziliteratur in Amerika" (und gemeint ist Amerika, von Alaska bis zum Feuerland) kommt daher als eine Abhandlung in lexikalischer Form. Es stellt in dreissig Artikeln Dichter und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts vor, die zumindest an einigen Punkten ihrer Laufbahnen faschistische Neigungen hatten. Dabei hat man es mit ganz unterschiedlichen Charakteren zu tun: mit Vergessenen und Gefeierten, mit Provinzlern und Bohemiens, mit entrückten Dichtern und glühemden Pamphletisten, mit Sektenpredigern, Vorsitzenden von Fussball-Fanclubs, Hausmeistern, Karrieristen und Dorflehrern. Einige tragen sympathische Züge, andere sind ziemlich unangenehm, wieder andere wirken völlig durchgeknallt.



Eines aber eint alle: Das Wissen um die eigene Berufung. Durchgängig ist das Gefühl des Unverstandenseins, des Fremdseins in der Welt, die deswegen abgeschafft werden muss. Die Neugeburt mindestens der Literatur, eigentlich aber der Gesellschaft, wenn schon nicht der "Nation", Menschheit, der Welt, des Universums ist das Ziel. Opfer müssen gebracht werden, und zwar vorzugsweise von den anderen. Ströme von Blut müssen fliessen, damit Deutschlands Grösse wieder hergestellt wird. Damit Chiles Stern heller erstrahlen wird als jemals zuvor.
Da kann man dann eigentlich froh sein, wenn sich dieses Phantasma einer Neuerschaffung auf esoterisch religiösem Territorium austobt. Obwohl auch das, wie schon ein halber Gedanke an die Geschichte des Sekten und Religionen zeigt, nur allzu gern im Massenmord und Terror endet. Und in vielerlei Hinsicht ist ja auch der Faschismus eine radikale Religion, und zwar, im Gegensatz zum Kommunismus, eine von vorn herein negative. Der Faschismus verspricht seinen Anhängern eigentlich nichts; Ziel ist nicht eine bessere, komfortablere Welt, nicht Linderung von Schmerz und Elend. Sein Versprechen ist das der Teilhabe an Erhabenheit: Adel, Radikalität, das Auserwähltsein: der Rausch der Größe. Genau an diesem Punkt liegt die große Versuchung für Künstler und eben auch: Dichter.

Alle Schriftsteller aus der "Naziliteratur", sind fiktive Figuren, deren Todestage teilweise noch in der Zukunft liegen. Das wirklich beunruhigende ist jedoch, dass trotz oder gerade wegen der teilweise geradezu irrwitzigen literarischen Erzeugnisse und Lebensläufe all diese Autoren völlig real wirken. Immer wieder verwebt Bolano seine Fiktionen mit historisch belegten Ereignissen und Figuren, lässt seine Figuren Streitereien mit realen Kritikern und Autoren ausfechten.

Amado Couto
Juiz de Fora, Brasilien, 1948 - Paris, 1989

COUTO SCHRIEB EINE SAMMLUNG MIT KURZGESCHICHTEN, die kein Verlag veröffentlichen mochte. Das Buch ging verloren. Später begann er für Todesschwadrone zu arbeiten, half bei Entführungen, beim Foltern und sah bei ein paar Morden zu, aber ihn beschäftigte weiter die Literatur und vor allem die Frage, was der brasilianischen Literatur fehlte. Es fehlten Avantgarde, experimentelle Literatur, Dynamit, aber nicht wie die Gebrüder Campos, die er langweilig fand, nicht wie die paar gelehrten Pedanten oder wie Osman Lins, den er schlicht ungenießbar fand (Warum bitte wurde Osman Lins veröffentlicht, seine eigenen Kurzgeschichten aber nicht?), nein, etwas modernes musste her, etwas aus seinem eigenen Revier, irgendwas wie ein Krimi (aber brasilianisch und nicht nordamerikanisch), eine Fortsetzung von Rubem Fonseca, damit wir uns richtig verstehen.

Roberto Bolano, Die Naziliteratur in Amerika.



Es ist Bolanos trockener Humor, der die Gleichzeitigkeit der ganzen Lächerlichkeit dieser Literaten mit ihrer potentiellen Monstrosität nebeneinander bestehen lässt, ohne wirklich zu kommentieren, welcher dies Buch zu einem solch finstern, funkelnden Heidenspass macht. Scheinbare Nebensächlichkeiten werden überspitzt, offensichtliche Schrecklichkeiten hingegen wie nebenbei erwähnt. Es ist durchaus möglich, dieses Lexikon zunächst mal lediglich als scharfe Satire auf den literarischen Betrieb zu lesen; die Naziliteratur als Jahrmarkt der Eitelkeiten. Tatsächlich rückt dieses Verfahren die Neigung zum Faschismus aber auf äusserst beunruhigende Weise inīs Alltägliche, in die Normalität hinein.

Eine der monströsesten Figuren aus der "Naziliteratur", Carlos Wieder, wird dann zur Hauptfigur in "Stern in der Ferne". Hier kippt der spielerische Ton inīs ernsthafte; aus der Imitatio des Pseudolexikons wird ein literarischer Kriminalroman. In diesem Buch wollte Bolano, wie er in einem Interview sagte, dem absoluten Bösen nachspüren. Einerseits wird die Figur Carlos Wieder dadurch erheblich eindrücklicher als seine Kollegen aus der "Naziliteratur", andererseits macht dies den "Stern" zu dem eigentlich etwas schwächeren zweier blendender Bücher. Denn das Konzept des "Bösen" ist nicht nur selbst irrationaler Natur, es erhöht den Faschisten und Mörder Wieder zu einer überlebensgrossen Figur, trotz all des beissenden Spotts, den Bolano auch hier ausgiesst.

Wieders Stern geht auf während des Putsches gegen Allende. Einen Namen macht er sich als tollkühner Flieger und als Dichter. Mit seiner Maschine schreibt er Verse aus der biblischen Schöpfungsgeschichte in den Himmel, aber auch kaum verständliche eigene Gedichte. Gleichzeitig verschwinden andere junge chilenische Dichter, die Wieder kennen gelernt hat, in Lagern oder gänzlich. Zum Eklat kommt es, als Wieder eine private Ausstellung seiner Photos organisiert. Zu sehen sind auf diesen Photos die Opfer von Mord, Folter, Verstümmelung, und unter diesen einige der Dichter-Kollegen Wieders aus den Tagen vor dem Putsch. Der exentrische Einzelgänger Wieder wird von der Junta fallen gelassen und zieht sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück.

Erzählt wird diese Geschichte von einem Alter Ego Bolanos, einem Literaten, der Wieder in einer Literatur-Werkstatt kennen lernte, der nach dem Putsch kurz interniert wurde und später nach Spanien emigriert. Bis in die 90iger Jahre hinein wird dieser Erzähler immer wieder, fast gegen seinen Willen, auf die Geschichte Wieders gestossen. Dieser hinterlässt Spuren in ominösen amerikanischen und europäischen Literatur Magazinen und Pamphleten, schliesslich taucht er sogar in der Snuff-Video Szene auf.

Bei Bolano ist Faschismus und Kunst kein Thema der Vergangenheit, sondern quälende Gegenwart. Was die biographische Aktualität angeht, solte man das ansonsten etwas flaue Spiegelinterview lesen. "Chile ist ein Land der Dichter", sagt Bolano, und es ist das Land der Colonia Dignidad und des General Pinochet. Natürlich verarbeitet Bolano hier eigene Geschichte, und vielleicht sind diese beiden Bücher seine Form des Exorzismus. Aber ähnlich wie Claudio Maggiani, der in "Der Mut des Rotkehlchens" der Geschichte des italienischen Dichterfürsten Ungaretti und dessen Verbindung mit Mussolini nachgeht, erstarrt Bolano nicht in Ehrfurcht vor Wahnsinn und Bösartigkeit. Seine Haltung ist die des faszinierten Ekels, sie schwankt zwischen Spott und Furcht. Hier wird weder gefeiert noch verdammt; hier wird die Monstrosität des Faschismus mit literarischen Mittel erfasst.







Möchten Sie diesen Artikel in Ruhe lesen oder ausdrucken? Laden Sie eine pdf-Version!

Bolano über Faschismus und Literatur - nur schwarze Scherze? Sagen Sie selbst!
u-lit Diskussion


Zuletzt geändert am 03.07.2000 © u-lit