Haruki Murakami Naokos Lächeln

Haruki Murakami :
Naokos Lächeln. Nur eine Liebesgeschichte


Roman. Deutsch von Ursula Gräfe.
Dumont, 2001.
428 S.

Eine dunkel-romantische Aussenseiterballade

Vergesst die "Gefährliche Geliebte", hier ist der echte Murakami: rauh, unpoliert, todtraurig statt melodramtisch, zerklüftet statt gebügelt. Nichts für das "Literarische Quartett", eher Stoff für Sybille Berg und andere Fans todessüchtiger Romantik.

"Naokos Lächeln" ist im Original bereits 1987 veröffentlicht worden. Einige entscheidende Themen und Figurenkonstellationen, die in der "Gefährlichen Geliebten" auftauchen, wurden hier entwickelt. Allen voran die rätselhafte Frau, geheimnisvoll und anziehend, dem Tode nah. Naoko. Dazu der Mann, der in ihren Bann gezogen aus dem normalen Leben fällt. Deutsche Romatik, aufgeladen mit Hollywood Noir, gespiegelt in japanischen Traditionen als Mittel der Distanzierung von japanischer Alltagsfunkionalität.

Eine Aussenseiter Ballade, wie sie das ganze Werk von Haruki Murakami prägen, ist auch Naokos Lächeln wieder. Anders als in der gefährlichen Geliebten sind die Helden aber noch jung. Man könnte behaupten, hier würde die Vorgeschichte erzählt. Töru, der Erzähler, Naoko, das verwunschene Mädchen und Midori, das lebenslustige, schräge Girl, sie alle sind Anfang zwanzig. Naokos Jugendliebe, der auch Törus bester und einziger Freund war, hat sich am Ende der Schulzeit umgebracht. Weder Naoko noch Töru kommen jemals ganz daruber hinweg. Einige Jahre später treffen die beiden erneut aufeinander. Eine Anfangs platonische Beziehung der beiden beginnt. Beide Aussenseiter, fesselt der Roman sie auf eine unbestimmte, aber intensive Weise aneinander.

Urplötzlich, Töru und Naoko haben das erste Mal miteinander Sex, bricht Naoko zusammen, sie verschwindet. Töru findet sie erst Monate später in einer entlegenen Nervenheilanstalt wieder. Töru selbst hat mittlerweile Midori kennengelernt. Auch die ist eine Aussenseiterin in der japanischen Gesellschaft, allerdings eher von der lebenszugewandten Seite. In Midori spiegelt sich am meisten Zeitkolorit: es sind die späten 60er Jahre und auch in Japan gibt es Studentenrevolten, Beatles und Hippiekultur. Die gesellschaftlichen Umbrüche jedoch lassen Töru ziemlich kalt, wie er auch Midoris Avancen nur zögerlich erwidert. Er ist gefangen in seiner heillosen Beziehung zu Naoko.

Die Besuche in jener einsam in den Bergen gelegenen Anstalt nehmen einen großen Teil dieses Textes ein. Dieser Ort und das Zusammenleben der Patienten mit den Ärzten dort ist ein klassischer Gegenentwurf zu einer auf Funktionstüchtigkeit orientierten Gesellschaft. Naoko lebt dort zusammen mit einer mütterlichen Freundin, Reiko, die ihrerseits seit Jahren freiwillig in diesem Exil verharrt. Die alte Frage danach, ob die normale Gesellschaft oder die Menschen in diesem, einem Kloster ähnlichen Ort verrückter sind, beantwortet sich in diesem Roman leicht. Was nicht heissen soll, daß Murakami hier eine heitere Idylle geschaffen habe. Im Gegenteil: Düsterste Romantik prägt bald das Bild. Anders als die "Geliebte" wandelt Naoko nicht nur auf der Grenze zum Tode, sie überschreitet sie.

Dieser zweite Tod in Törus Leben erst ermöglicht ihm, dem Bann zumindest soweit zu entfliehen, daß er sich dem Leben zuwenden kann. In der Eingangssequenz, in der wir einem 15 Jahre älteren Töru begegnen, wird allerdings deutlich gemacht, daß dieses Erlebnis, diese Beziehung zu Naoko ihn ein Leben lang prägen wird. Die Schatten der Vergangenheit sind bei Murakami nicht die zum Klischee verkümmerten Schuldfragen der psychologischen Krimi-Meterware. Es handlet sich eher um die Brücke zum Reich des Wahnsinns und des Todes, auf der seine Helden gestanden haben.

Letzlich erscheinen diese Erfahrungen dennoch als notwendig. Ohne sie, so scheint es zumindest in Naokos Lächeln, bleibt nur ein halbbewusstes, angepasstes Leben. Der Fänger Im Roggen, Harold und Maude, der Steppenwolf: Diese Vergleiche drängen sich auf. Und doch treffen sie nur bedingt. Zuviele Wurzeln sind in Murakamis Schreiben auszumachen, und zu individuell ist seine Stimme.

Burckhardt Christians

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Erstellt am 19.06.2001 ©u-lit/