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Antonio Munoz Molina:
Die Augen eines Mörders
Rowohlt, 3/2000
478 S.


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Plenilunio, Vollmond , heisst das Buch im 1997 erschienen Original. Die Titelwahl des Rowohlt Verlages ist allerdings verständlich. Schließlich ist der Held des Buches, ein Inspektor, der den Mörder eines Mädchens sucht, wie besessen von der Vorstellung, diesen an seinen Augen erkennen zu können. Dies Thema zieht sich durch fast das ganze Buch, bis er schließlich erkennen muß, daß diese Augen gar nichts verraten. Und noch einen zweiten Mörder gibt es in dem Buch, der den Inspektor töten will; auch er hat ausdruckslose Augen. "Mit einer Pistole oder einem Messer in der Hand ist jeder allmächtig, es ist überhaupt nichts Besonderes, andere zu terrorisieren oder umzubringen." sagt der Inspektor, und er muss es wissen, war er doch viele Jahre auf der Jagd nach baskischen Terroristen, und schon Polizist, als der Faschismus noch herrschte in Spanien.

...es ist überhaupt nichts Besonderes, andere zu terrorisieren oder umzubringen...

Es ist also eigentlich eine ziemlich spannende Copstory, die Molina geschrieben hat: Alternder Polizist jagt Mädchenmörder und wird selbst von rachsüchtigem ETA-Mann verfolgt. Im Laufe seiner Ermittlungen lernt er eine geschiedene Lehrerin kennen und lieben, während seine Frau, zerstört durch das Leben an seiner Seite, in einer Klinik dahin vegetiert. Seine Vergangenheit verfolgt ihn, aber in der Verbindung zu der Lehrerin scheint die Chance zu einem Neuanfang zu liegen. Molina erzählt diese Geschichte aus wechselnden Perspektiven, klassisch modern, fast aus der Innensicht seiner Figuren, noch ganz der allwissende Autor. Seine langen, repetetiven Sätze sind zunächst gewöhnungsbedürftig, doch bald entwickelt die Sprache einen starken Sog, die Geschichte gewinnt an Fahrt.

...entwickelt die Sprache einen starken Sog, die Geschichte gewinnt an Fahrt...

Aber der Roman will mehr als nur eine spannende Geschichte erzählen, er will Stellung beziehen zur jüngeren spanischen Vergangenheit, er will apellieren. Der Inspektor mit seiner Verstrickung in den Faschismus und mit seiner Verweigerung der Erinnerung gegenüber steht stellvertretend für Teile der spanischen Gesellschaft, ebenso wie der ehemals anarchistische Gerichtsmediziner, oder der alte, vereinsamte Arbeiterpriester. Dieser, Pater Orduna, ist es auch, der dem Inspektor rät, nach den Augen zu suchen. Und so sucht er nach "einem Paar Augen, nach einem Gesicht, das der Spiegel einer in die Enge getriebenen Seele war, ein leerer Spiegel, der nichts reflektierte, weder Reue noch Mitleid". Es sind diese sprachlichen Bilder, diese literarischen Motive, die die beiden Ebenen des Buches zusammenfügen sollen, und die seinen heimlichen Schwachpunkt ausmachen.

...Der Inspektor mit seiner Verstrickung in den Faschismus und mit seiner Verweigerung der Erinnerung...

Denn weder soziale Realität , die Geschichte, noch individuelle Zustände lassen sich über symbolische Denkweisen wirklich erfassen. Metaphern ersetzen Erklärungen, genaues Hinsehen. So ist es nur folgerichtig, daß die Funktion des Priesters in der Geschichte letzlich unklar bleibt, er am Ende sang und klanglos von der Bühne verschwindet; daß die Schuld des Inspektors, die er als Denunziant in der Franco Ära auf sich geladen hat, zwar beschworen, aber nie wirklich erzählt wird. Dies mehr bedeuten als erzählen wollen ist vielleicht eben der Fluch der für bedeutend erachteten und sich erachtenden Autoren.

...der Fluch der für bedeutend erachteten und sich erachtenden Autoren...
  Februar/`00


©u-lit Zuletzt geändert am 19.02.2000
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