Eine Rezension von Jerome Charyn:
Die dunkle Schöne aus Weißrußland.

Informationen zu Jerome Charyn
in der metro Reihe

Ein schönes
Interview mit Jerome Charyn
im Dalkey Press Archive

Jerome Charyn:
Der Tod des Tango-Königs.

Union, 2000.
254 S.

Eine kolumbianische Halluzination

Jerome Charyn ist ein Wanderer zwischen den Welten, ein Träumer mit weit offenen Augen, ein Realist, der Realität nur aushält, indem er sie sich wieder und wieder erzählt. Eine Aufzählung der Bücher, die der 1937 in New York geborene Sohn osteuropäischer Immigranten geschrieben hat, würde den Rahmen einer Rezension sprengen, es sind über 40 mittlerweile. Nach glänzendem Karrierestart in den USA ist er dort nur noch bei Kritikern und eingeschworenen Fans gut angesehen. Viel besser sieht es in Europa auch nicht aus. Dennoch teilt Charyn mittlerweile seine Zeit zwischen Europa und Amerika. In Frankreich ist er zum Chevalier de l`Ordre des Arts et de Lettres ernannt worden.

In Deutschland kennen ihn die Leser hauptsächlich als Autor der avantgardistischen Krimis um Isaac Siedel, Mörder, Polizist und späterer Polizeichef von New York. Diese Figur verbindet zwei von Charyns Grundthemen: Die Exploration der eigenen Herkunft als Sohn jüdischer Emigranten einerseits, die literarische Erkundung New Yorks andererseits. Das Krimi-Genre hat Charyn dabei ebenso konsequent genutzt und erweitert wie Jerry Oster. Bei beiden schlägt ein radikaler Realismus um in halluzinatorische Sichtweisen, in Elemente des Traumes, wenn nicht des Alptraumes.

"Der Tod des Tango-Königs", das jetzt in der metro Reihe im Unions-Verlag erschienen ist, lässt sich auch in das Genre Krimi einordnen. Natürlich ist es eigentlich keiner. Natürlich spielt Charyn in diesem Buch mit Elementen aus allen möglichen Genres, und Thomas Wörtche, Herausgeber der metro Reihe und Verfasser eines sehr guten Nachwortes, hat Recht, wenn auf den Einfluß von Charyns Arbeit als Comic-Szenarist hinweist.

In vielerlei Hinsicht ist "Der Tod des Tango-Königs" eine Erweiterung der Isaac Siedel Krimis in die Welt. Kolumbien, Hauptschauplatz des Romans, ist ebenso ein Dschungel, ob im Urwald des Amazonas-Beckens, in den Barrios von Medellin oder den Straßenschluchten Bogotas wie New York es ist. Und den Traficantes, den Drogenbaronen Medellins, dichtet Charyn auch gleich noch eine geheime jüdische Herkunft an. Die Identitäten der Protagonisten sind vielfältig. Der Tango-König etwa, Hauptfigur des Buches, ist eigentlich nicht Don Ruben Falcone, der Boss des Drogenkartells, sondern ein legendärer Tango Tänzer der dreissiger Jahre, Yolanda, Don Rubens Geliebte, spiegelt sich in Tulipa Dawn, Freundin des Tänzers. Der Präsident Kolumbiens ist Schriftsteller, eine Auseinandersetzung Charyns mit seinen berühmten Kollegen Garcia Marquez und Vargas Llosa. Und überhaupt ist alles anders, als man zunächst und auch weiterhin denkt.

Die Geschichte, die Jerome Charyn erzählt, und es gibt eine, die sogar sehr spannend ist, folgt der Logik des Traumes. Sie wird erzählt aus wechselnden Perspektiven. Da ist Yolanda, schöne alleinerziehende Mutter, die plötzlich und zwangsweise von einem obskuren US-amerikanischen Geheimdienst angeheuert wird. Da ist Don Ruben, Drogenbaron und Umweltschützer, der sich von seiner Organisation lossagt, sich von der Weltöffentlichkeit umjubeln lässt, um schließlich mit Yolanda als Umweltminister nach Kolumbien zurückzukehren. Da ist Rudolfo, König der Strassenkinder, ein 7 jähriger Mörder, da sind Indios, Vogelmenschen, die von einer speziellen Eiscreme leben. Und es gibt den Tango, der mit seiner vielfältigen Bedeutung für die lateinamerikanischen Gesellschaften die gesamte Handlung durchzieht, sie beherrscht.

Bei allen surrealen Elementen ist es die Realität, die politische und gesellschaftliche Realität, mit der Charyn sich beschäftigt. Kolumbien, wie New York ein Hotspot der westlichen Welt, stellt in Charyns Roman ein Brennglas dar, unter dem die mörderische Brutalität sozialer Konflikte sich zeigt. Rücksichtslose Ausbeutung der Menschen und der Umwelt steht dabei neben Sentimentalität und Zärtlichkeit. Charyn ist kein politischer Autor. Er ist ein Mann der Kultur. Und als solcher weiß er um die Macht der Mythen, um ihre Verstrickung in die blutigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, aber auch um die Bedeutung der kulturellen Muster als Mittel, der Realität zu entfliehen. Es sind diese kulturellen Muster, mit denen Charyn sich eigentlich beschäftigt, die er vielfach bricht und spielerisch und mit verzweifeltem Humor wieder zusammensetzt.

Burckhard Christians
 


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Erstellt am 07.03.2001 ©u-lit