Brett
Easton Ellis liest aus
"Glamorama".
Deutsches Schauspielhaus 20.10.99
"Parkett ist voll, bitte
in den Rang", sagt ein Uniformierter an einer der Schwingtürflügel,
also hoch die Treppe, an einer Garderobe vorbei, wo eine Frau ziemlich
beschäftigungslos herumsteht und einfach dienstbereit aussieht. Fast
alle anderen Nachzügler, die hier noch rumlaufen, behalten ihre Anoraks,
Dufflecoats, Stepmäntel, ihre Schals und Mützen an, es ist kalt
draußen, ein eisiger, böiger Ostwind pfeift, ein kalter Halbmond
steht über der Kirchenallee. Nur noch wenige Plätze ganz oben
zentral sind frei, es riecht nach Hustenbonbons. Das Durchschnittsalter
hier oben dürfte bei dreissig liegen. Sie alle
sind gekommen, um der Emanation einer Ikone beizuwohnen, des Autors,
der die gegenwärtige Welle der angesagten deutschen Literatur geprägt
hat. Sein Ruhm in Deutschland gründet sich fast nur auf "American
Psycho", des Buchs, das 1991 veröffentlicht, die 80iger beschloss.
Wie ein ein riesiger, schwarzer, vollverspiegelter Obelisk steht dies Buch
seitdem in der kulturellen Landschaft. Und wird da auch stehen gelassen.
Die extreme Grausamkeit, die völlige Verweigerung von Kommunikation,
die komplette Demontage der sozialen Zusammenhänge, die das Buch vorführte,
sind mittlerweile zu Gemeinplätzchen geworden, mit denen 10 bis 20
Jahre jüngere Autoren hausieren gehen. Deutschland hat seine eigenen
Popstars. Das gilt auch in der Literatur, und Ellis nimmt hier in etwa
eine Rolle ein wie Iggy Pop.
Brett Easton Ellis
und noch jemand betreten die Bühne, sie setzen sich auf zwei Stühle,
es gibt einen nicht sehr langen Applaus, die Stimmung ist freundlich, etwas
unaufgeregt. Ellis, er trägt wohl einen grauen Anzug, ist schwer zu
sehen von hier, fängt ohne lange Vorrede an zu lesen, seine Stimme
ist ruhig, ein wenig schleppend.
Fast mühsam kommen die Worte anfangs, als
er aus Victors Erinnerung an Chloes Aufenthalt in einer Rehab-Klinik und
dann aus ihrer beider Abendessen, immer noch in der Nacht vor der Club-Eröffnung
liest. Allmählich wird Ellis schneller, besonders die Dialoge klingen
lebens- oder soll man sagen: Sitcom-echt, er erntet vereinzelte Lacher.
Abrupt beendet Ellis sein
Kapitel, und übergibt, ohne den höflichen Applaus abzuwarten,
an den neben ihm Sitzenden, einen Schauspieler. Der ist offensichtlich
gut vorbereitet, er trägt seine zwei Szenen eher vor, als daß
er sie liest. Er stellt die Sätze in den Raum, macht kleine, effektvolle
Pausen, zerrt den Text auf die Bühne, und nimmt ihm all seine klaustrophobische
Flachheit, seine scheinbare Banalität.
Die Faszination von Ellis
Büchern liegt darin, daß er eine Sprache gefunden hat für
die Mischung aus Hyperaktivität und absoluter Langeweile, aus Masslosigkeit
und tiefer Gleichgültigkeit, als die er das Leben in Amerika sieht.
Diese Sprache fällt mit ihrem Gegenstand in eins, sie kommentiert
nicht, sie desavouiert nicht. Sie bedeutet nicht, sie ist.
Nochmal liest Ellis. Eine Szene in Bruce Wohnung
in Paris, Victor ziemlich fertig, verloren, auf der Suche nach Betäubung.
Mehr Lacher aus dem Publikum jetzt. Dann eine Szene, die Ellis als Schlüssel
für Victors Entwicklung ankündigt: Ein Nachmittag in einem Haus
in Malibu Beach, der junge Victor hat gerade Chloe kennengelernt, er entscheidet
sich für ein Leben als Star.
Da ist sie, die andere Seite
des Skandalautors, des hippen Tabubrechers. Das, wovon sein erstes Buch,
"Less than Zero" handelt, das Erschrecken über den Verlust der Unschuld,
steckt als Grundton in allen Büchern, und das verleiht der eigentlich
total eindimensionalen Erzählweise seine dubiose, schwer greifbare
Ambiguität. Ein kleiner Junge, verloren in der großen bösen
Welt: das ist es, was Ellis so unwiederstehlich macht.
Die Lesung ist zu Ende,
es wird etwas länger geklatscht, es dürfen Fragen an den Autor
gestellt werden, die Ersten brechen auf. Es gibt viel Gehuste jetzt, Nebenunterhaltungen
kommen auf. Niemand lässt seine Frage von der zur Hilfe gekommenen
Verlagsdame übersetzen, man spricht Englisch, fragt nach Patrick Bateman
aus "American Psycho", ob die Filmteams in dem Buch imaginiert seien, was
es mit Victors Double auf sich habe: Fragen, die in Uniseminaren und in
Deutsch Leistungskursen erörtert werden.
Ellis antwortet ausführlich
und geduldig auf die erst zögerlich, dann stetig gestellten Fragen.
Mehr Leute verlassenn den Saal. Ob er viel recherchiert habe, wird gefragt.
Ja, aber eigentlich reiche es, in Amerika zu leben, antwortet Ellis. Tom
Wolfe sagte vor einer Woche in den `Link`Kammerspielen auf die frage, warum
so viel mehr amerikanische Bücher in Eurpa gelesen würden als
umgekehrt, Amerika sei eben, was Reichtum, Macht und Größe angehe,
die führende Land, weswegen sich da dem Autor das beste Material biete.
Es kommt denn auch die Frage nach Tom Wolfes Forderung nach sozial realistischen
Romanen, aber das wehrt Ellis höflich ab mit dem Hinweis, es gebe
keine verbindlichen Rezepturen für Romane.
Weitere Mäntel
werden von den Stühlen gegriffen, Abschiedsküsse getauscht, Verabredungen
getroffen. Ellis macht noch eine tiefe Verbeugung vor Don DeLillo und Philip
Roth, weist auf die folgende Signierstunde hin, und dann ist es vorbei,
und durch die Schwingtüren und durch die Drehtüren strömen
die Leute auf die kalte Kirchenallee.
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Tom Wolfe:
"A Man in Full".
Hamburger Kammerspiele, Oktober´99
Breite Schultern, ein kräftiger Nacken,
die Ärmel des Pullis über die Ellenbogen hochgeschoben, die sehnigen
goldbraunen Unterarme auf die Oberschenkel gestützt: so wartet einer
in der ersten Reihe auf den Auftritt des Autors von "Ein ganzer Kerl".
Eine Frau neben ihm, die Beine seitlich übereinander geschlagen, hat
ihren Arm auf seinen Rücken gelegt, oberhalb ihrer wulstigen Sportuhr
verschwinden ihre Finger in seiner locker sitzenden, perfekten Frisur,
kraulen unablässig. Hin und wieder bewegen sich ihre vollen, passend
zur Haarfarbe bräunlich geschminkten Lippen; sein Kopf senkt sich,
er blickt zu Boden, antwortet mit einer Vierteldrehung des Halses. Die
Luft ist schwer von After-Shave, Body Lotions, Parfums, allgemeines Stimmgewirr,
man lacht, ist entspannt. Immer wieder kommen Nachzügler, Jackets
werden ausgezogen, Haare zurückgestrichen, Röcke glattgezogen.
Schließlich tut sich was auf der Bühne, ein großer, etwas
düster dreinblickender und gekleideter Mann tritt an den Rand und
sagt mit leiser, aber tragender Stimme den Auftritt an, sagt, das er es
kaum für möglich gehalten habe, endlich Tom Wolfe in seinem Hause
begrüßen zu dürfen. Es ist eine kurze Ansage, zurückhaltend,
fast bescheiden, mit untergründig vibrierenden Emotionen.
Und dann kommt er, der Autor, natürlich
in weiß, geht direkt durch den aufbrandenden Applaus an den Bühnenrand,
wo ein Pult auf ihn wartet, er lächelt, das Publikum klatscht, er
hebt die Hand, halb grüßend halb winkend, das Publikum klatscht
weiter, Wolfe senkt lächelnd den Kopf, das Publikum klatscht immer
noch, Wolfe sagt, wenn das immer so sei in Deutschland, wolle er hier gar
nicht mehr weg, das Publikum klatscht lauter, während neben dem Pult
an einem kleinen runden Tisch ein jüngerer Mann in einem eleganten
dunklen Anzug Platz nimmt, zu Wolfe aufblickt und verhalten, aber mit innigem
Lächeln ebenfalls klatscht.
Etwas später, Wolfe hat aus dem bereitstehenden
Glas ein Schluck Wasser getrunken, beginnt er mit einer Einführung
in die Szene mit dem Workout Department in der Planners Bank. Er flicht
kleine Scherze ein, gestikuliert sparsam, legt hin und wieder die Hände
locker übereinander, neigt den Kopf, die gelblich blonden Haare fallen
ihm in die Stirn. Sein Publikum reagiert sofort, Dankbarkeit, Verständnis,
Sympathie schwappt in großen Wellen durch den Saal, es wird viel
und laut gelacht, natürlich bereitet Wolfes manchmal etwas altmännerhaft
undeutliches Englisch niemandem die geringsten Schwierigkeiten. Alles ist
einfach großartig, und mein Gott, ist das nicht irre, wie es da zugeht
in der Welt des ganz großen Geldes, wie der Großkopfete ganz
klein gemacht wird. Da stört es auch nicht, daß Wolfe sich hin
und wieder verhaspelt, daß seine Versuche, die verschiedenen Stimmen
und Tonlagen seiner Figuren darzustellen, nicht immer gelingen. Nein, als
der Autor mit einer kaum angedeuteten Verbeugung endet, setzt erneut Klatschen
ein, warm und begeistert, das minutenlang nicht aufört
Aber Wolfe hat es nun eilig, mit der geöffneten
Rechten weist er auf den Jüngeren, tauscht mit ihm die Plätze,
setzt sich an den runden Tisch, schlägt die Beine übereinander,
tritt sozusagen in den Hintergrund. Jemand kommt von hinten auf die Bühne
geeilt, tauscht noch schnell die Gläser zwischen Pult und Tisch, das
alles, während der Applaus immer noch rauscht, der Jüngere immer
wieder in Richtung des sitzenden Wolfe weist, eine kleine Bemerkung auf
deutsch in seine Richtung macht, die Wolfe nicht versteht, und schließlich
mit geübter Schauspielerstimme zu lesen beginnt, aus der Szene bei
der großen Eröffnung der Wilson Lapeth Ausstellung
Etwas wie Entspannung durchweht den Saal,
die klare Artikulation, die sicher gesetzten Pointen im Vortrag und, ja,
die doch vertraute Sprache lullen das Publikum nicht ein, man ist immer
noch gefesselt, es wird immer noch gelacht, aber es ist etwas einfacher
geworden, vorgekaut gewissermaßen, man verlagert öfter mal das
Gewicht auf dem nicht wirklich bequemen Gestühl, und irgendwie sehen
die Socken, sind das überhaupt Socken, oder nennt man das Gamaschen,
sind die eigentlich irgendwie durchbrochen, ein bisschen wie Spitzendeckchen,
also man selber würde sowas ja nicht tragen wie der Wolfe da an seinen
fast etwas tuntig übereinandergeschlagenen Beinen, und da an seinen
Händen die Haut, schon etwas faltig, ob es da Altersflecken hat, aber
halt, da ist es zuende, großer Applaus, tolles Buch, finden die anderen
auch, man schüttelt noch mal kurz den Kopf, lächelt vielleicht
noch mal kurz in sich hinein, lauscht dem Gesprochenen nach, während
der Vorleser den Applaus weiterleitet an die richtige Adresse, Ehre wem
Ehre gebührt, und schließlich die Bühne nach hinten verläßt.
Jetzt kommt noch das Gespräch, ein
dritter Mann kommt an das Tischchen, auch er erhält ein eigenes Glas,
auch er ist deutlich jünger als Wolfe, auch er trägt einen dunklen
Anzug. Aber sein Gesicht, seine ganze Figur ist rund, also man könnte
sagen, schwabbelig, ein bisschen, und er trägt die Haare sehr kurz,
eigentlich nicht sehr attraktiv, und er spricht irgendwie vorsichtig, sein
Englisch klingt so, äh deutsch! Gut, er ist Literaturkritiker, und
er stellt Fragen, die gespickt sind mit Zitaten und kleinen Anspielungen,
er spielt seinem Gesprächspartner die Bälle zu, er bohrt nicht
in dessen Statements herum, und außerdem, möglicherweise ist
er eh schwul, was ja nichts macht, schließlich ist er ja Literaturkritiker.
Das Gespräch ist gut, prima, gute
Sachen sagt der Wolfe, über den Kunstmarkt, und über den Kapitalismus,
der nämlich gar kein Ismus ist, sondern einfach etwas, was die Menschen
machen, und das schlechteste System abgesehen von allen anderen, die man
ausprobiert hat. Und die Literatur, zum Beispiel die deutsche, die - und
da sucht der Tom Wolfe, mittlerweile breitbeinig sitzend, die linke Hand
auf dem Knie, ein deutsches Wort, das ihm gestern jemand beigebracht hat
- die "Batr.., die Bidro.., die..", die Betroffenheitsliteratur, fällt
jemandem aus dem Publikum ein, Hälse werden gereckt, Köpfe gedreht,
ja, die ist natürlich Mist. Ein leichter Schatten fällt auf den
Glanz des Einverständnisses, als der Kritiker - schwitzt der eigentlich,
müßte er ja, bei dem Gewicht - nach Wolfes Dialogen fragt, wie
er eigentlich die ganzen Stimmen so genau hinkriegt zum Beispiel bei der
Partyszene, und der sagt, da müsse man eben zuhören lernen, und
er habe je angefangen, bei solchen Parties manchmal ganz still zu sein,
und da falle einem dann auf, wieviel und geradezu zwanghaft die Menschen
bei solchen Anlässen lachten. Schließlich stellt der ja doch
ganz gute Literaturkritiker eine wirklich gute Abschlußfrage, eine
richtig große Frage, wenn sich nämlich jetzt und hier, auf dieser
Bühne eine gute Fee materialisieren würde, und würde ihm,
dem Tom Wolfe einen Wunsch zu erfüllen versprechen, ob er dann auch,
wie ein anderer wohl berühmter Schriftsteller, sich die Abschaffung
des Todes wünschen täte. Worauf der Wolfe sagt, das sei ja fast
schon in Arbeit. und nein, er würde sich wünschen, daß
dieses Zeitalter mit seinem wahnsinnigen - materiellen - Reichtum nicht
aufhörte, weil das die Human Comedy befördere, und die, die Human
Comedy soll ewig weitergehen. |