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u-lit Literatur Magazin



   

ICH MÖCHTE FOLGENDE WINZIGE BOTSCHAFT HINTERLASSEN: JEMAND HAT IN DEN 90er JAHREN DES 20. JAHRHUNDERTS DEUTLICH DIE ENTSTEHUNG EINES MONSTRÖSEN UND GLOBALEN MANGELS VERSPÜRT
Abt. IVa

   
Michel Houellebecq

ist eine der interessantesten Inszenierungen der derzeitigen Literatur- und Kunstszene.
Er fungiert als Schnittstelle verschiedener aktueller Diskurse: Die zunehmende Warenförmigkeit der Welt, die Atomisierung der gesellschaftlichen Subjekte, die Auseinandersetung um Gentechnologie, die Koppelungen zwischen Macht, Gewalt und Sex: Für all dies steht die Figur MH.
Kristian Kißling geht der Geschichte der Rolle des Autors anhand des
Phänomens MH nach.

Sascha Preiß beschreibt die
medialen Inszenierungen des MH,

Außerdem:
Kristian Kißling schreibt über die Romane:
Ausweitung der Kampfzone und
Elementarteilchen

Sascha Preiß nahm sich der Essays und Gedichte an:
Die Welt als Supermarkt und
Suche nach Glück

und wieder Sascha Preiß schreibt über den Text- und Fotoband Lanzarote


Informationen zu Michel Houellebecq

 
 

Der Autor als Popstar:
Zu den Inszenierungen des Michel Houellebecq - 1. Teil


Im Herbst unternahm Michel Houellebecq eine Tournee durch deutsche Konzerthallen. Zu eher uninspirierter Begleitung sang der Autor mit dünner Stimme seine Liedchen und gab den Houellebecq. Der Autor als Popstar: Das gilt nicht nur für den Literaten Houellebecq, sondern auch für die Gesamtinszenierung. Der Mann ist bleich, er ist schamlos, er ist lethargisch, er leidet öffentlich, er verkündet das Ende der Gesellschaft, er schreit nach Liebe und raunzt jeder Frau ein voulez vous couchez avec moi ins Ohr, er badet in Selbstmitleid und Ekel und irischem Whiskey. Frankreich feiert ihn als wichtigsten Autor seit der Generation Sartres und Camus. Bei letzteren, ebenso wie bei Foucault, musste man bis zum Kern der Werke vordringen, um auf das Irrationale, das Emotionale, die Poesie zu stoßen. Houellebeq trägt diese Irrationalität offen vor sich her; auf Stringenz verzichtet er zugunsten einer höchst suggestiven Mischung aus radikaler Misanthropie, stumpfen Tabubruchs und eines naiven Poesiebegriffs.
Die Provokation und der Skandal sind Ingredienzien, ohne die ein solcher Status auf der kulturellen Bühne nicht erreichen werden kann; sie durchziehen das gesamte 20. Jahrhundert, auf dessen Aschen Houellebecq seine autistischen Helden ihre schwankenden Tänze vollführen läßt.
Sascha Preiß widmet der medialen Inszenierung des MH eine Abhandlung
Kristian Kißling beschreibt im folgenden, warum der Autor, der eigentlich tot sein sollte, neuerdings wieder quicklebendig geworden ist.


”...der Schriftsteller schreibt in einer Sprache und in einer Logik, deren System, Gesetze und Eigenleben von seinem eigenen Diskurs definitionsgemäß nicht absolut beherrscht werden können.”
Jacques Derrida.

Punkt. Aus. Wäre auch eine schöne Vorstellung: Ein Jahr lang veröffentlichen die Schriftsteller und Autoren ihre Texte nur noch anonym. Foucault unterbreitete einst diesen Vorschlag, der sich jedoch nicht so recht durchsetzen wollte.
In der Germanistik hat sich immerhin bei vielen die Idee etabliert, daß hinter dem Text keine reale Person mehr zu finden ist, daß es also keinen Sinn macht, ein Werk mit der Autobiographie seiner Autorin, seines Autors zu vergleichen oder zu erklären. Vielleicht sollte kurz erläutert werden, warum.

Da wäre das Problem der sozialen Programmierung. Früher waren Schriftsteller Künstler – wenn nicht gar Genies. Sie hielten sich für autarke Subjekte, die jene erfundene Schrift-Welt aus sich selbst schöpften und so – über ihrer dummen Umwelt stehend – Kunst produzierten. Das bürgerliche oder adlige Publikum bedingten diese Auffassung und folgten ihr. Einfache Menschen wurden vom Künstler meist in Komödien eingesetzt, die tragischen Rollen aber blieben dem Adel vorbehalten, wohl auch, weil dem Volk ob seiner unterstellten Dummheit keine ernsten Konflikte zugebilligt wurden. Autoren wie Georg Büchner fingen an, die “kleinen Leute” ernst zu nehmen, indem sie ihnen ihre eigene Sprache zubilligten, die der Zensur das Blut ins Gesicht trieb. In “Dantons Tod” herrscht ein offener bis derber Sprachduktus, der sich enorm von der Kunstprache vorheriger Schriftsteller unterscheidet, das Obszöne zieht in die Literatur ein. Schließlich kreisen die Dramen von Hauptmann bis Brecht um die Frage, was die Leute zu dem gemacht hat, was sie sind. Der sozial und psychologisch beeinflußte - wenn nicht gar determinierte - Mensch wurde zu einem immer häufiger eingesetzten Topos der Literatur. Bei Kafka hatte die Außenwelt schon längst die Regie über das entfremdete Subjekt übernommen, das seiner Umwelt hoffnungslos und bis zum bitteren Ende ausgeliefert war. Im Zuge dieser Entwicklung ließ sich auch das klassische Bild eines selbstbestimmten Künstlers, der aufgrund einer Begabung mehr und weiter sieht als andere und seine Werke aus sich selbst heraus schafft, nicht mehr halten. Es wurde sukzessive aufgelöst, von der hereinbrechenden Außenwelt gestört.

Schließlich wurde verkündet, daß das Subjekt die Welt ja in erster Linie über Sprache aufnehme, es sozusagen in Sprach- und Diskussionszusammenhänge hineingeboren und damit sozial programmiert werde. Das führt dazu, das ein Mensch seine Umwelt nur aufgrund seiner über die Sprache erlangten persönlichen Erfahrungen wahrnehmen kann. Diese sind jedoch wiederum von den existierender Diskurse bestimmt. Und so wie ein Leser einen Roman innerhalb seiner eigenen – aber von den Diskursen mitbestimmten - Wahrnehmung liest, schreibt auch der Autor seine Texte nicht mehr unabhängig von den gesellschaftlichen Diskursen.

Demnach wären also sowohl ein Autor als auch ein Leser in einem Netz aus Diskursen gefangen und der Akt des Lesens wär genau in dem Maaße fremdbestimmt oder eben auch schöpferisch wie der Akt des Schreibens. Anders gesagt: Ein Text entsteht bei jedem Leser und jedem Akt des Lesens neu. Ein Leser ist also eigentlich gar nicht einer, er ist viele. Jedesmal, wenn er liest, erfindet er sich als Leser neu. Der Lieblingsroman von vor zwei Jahren entpuppt sich dann möglicherweise als Schlaftablette, während ein von der Schule aufgezwungenes Gedicht plötzlich immense Bedeutung gewinnt. Ein guter Autor andererseits zeichnet sich nicht durch autarkes Schöpfertum aus, sondern durch die Fähigkeit, mit der Sprache zu spielen, sie in Zusammenhänge zu setzen, in denen sie vielleicht noch niemand betrachtet hat. Oder dadurch, daß er mit Georg Büchner sagt: ”Geht einmal Euren Phrasen nach, bis zu dem Punkt wo sie verkörpert werden.”

Warum also geht es dann in der allgemeinen Rezeption immer noch um den Autor? Weil diese Sicht auf die Dinge beim Bildungsbürgertum noch nicht angekommen ist. Da gilt noch immer die Genie-Ästhetik, wenigstens muß jemand da sein, der für das Geschriebene haftbar gemacht werden kann. ”Tatsächlich ist das, was man an einem Individuum als Autor bezeichnet (...) nur die mehr bis minder psychologisierende Projektion der Behandlung, die man Texten angedeihen läßt(...)”, schrieb Foucault 1969 in “Was ist ein Autor?”. Was in etwa dem Reflex gleich kommt, der einen dazu bringt, seinem Computer einen Namen zu geben und ihm Launen unterzuschieben. Viele Leser suchen also noch immer nach dem Menschen hinter dem Text.

Ermutigt werden sie dabei einerseits durch Verlage und Autoren, andererseits durch die Medien. Erstere wollen ihre Bücher verkaufen, und das ist schwieriger denn je. Jedes Jahr überschwemmen mehr Bücher den Markt, wird der Kampf um die Aufmerksamkeit härter. Mit der Veröffentlichung des neuen Romans verpflichten die Verlage ihre Autoren zu Lesereisen. Sie werden zu Talkshows geschickt und müssen Interviews geben. Auf der Tournee sitzen die Autoren – und natürlich Autorinnen –dann vor einem Publikum, lesen ein kurzes Stück aus ihrer Neuerscheinung, um das Werk anschließend zu signieren. Mit ihrem persönlichem Autogramm, als würde das dem Buch eine besondere Authentizität verleihen, als würden sich Autoren und Autorinnen damit persönlich für den Inhalt ihrer Werke verbürgen. Dann kommt das Publikum zum Zug. Es stellt fest, daß das Buch “ja sehr biographisch” sei und will wissen, wie es denn mit dem ”realen” Sex des Autors aussieht oder ob er denn wirklich diese im Buch beschrieben Gewalt erlebt habe. Auf diese sich ständig wiederholenden Fragen müssen die Autoren dann antworten, was sie so oft tun, bis sie die Fragen und Antworten schließlich verinnerlicht haben. Doch die Autoren sollen hier nicht zu Opfern gemacht werden. Sie beteiligen sich an dem Spiel oder forcieren es gar, wenn man die Werbeplakate des Benjamin von Stuckradt-Barre betrachtet. Die Verlage sehen es nur allzu gern, wenn ihre Autoren wissen, wie sie sich zu inszenieren haben. Ob die melancholisch dreinblickende Judith Hermann, die relaxte Alexa Henning von Lange oder der coolende Stuckradt-Barre, sie alle schauen vom Cover, als wollten sie sagen: Kauft unsere Bücher - kauft uns. So sind wir, da steht's geschrieben. Und wer sich – wie Botho Strauß - dem Rummel entzieht, macht sich dadurch erst recht interessant.

Die Inszenierungen werden – und das haben sowohl Verlage als auch Autoren erkannt – zunehmend wichtiger als die Bücher selbst (Norbert Bolz, Literarisches Kultmarketing)(!). Und so kann es passieren, daß sie von Talkshow zu Talkshow, von Interview zu Interview gereicht werden, ohne daß jemand ihre Bücher kauft oder liest. Dann beginnen die Autoren und Autorinnen eventuell zu glauben, daß das, was sie so über die Welt denken, die Art, wie sie die Welt sehen, ausreicht, um auch die nächsten acht Romane zu füllen, was sich oft als Irrtum herausstellt. Die Inszenierung ist kein leichtes Geschäft. Sobald Autoren zu Popstars werden, unterwerfen sie sich den Regeln des Pop, d.h. sie müssen sich verändern, interessant bleiben.

Rainald Goetz hat es vorgemacht mit der Entwicklung vom Punk-Autor, der sich in Klagenfurth mit einem Rasiermesser bearbeitete, hin zum Plattenträger von Westbam. Hier korrespondiert das neue Image mit dem jeweils neuen Produkt. Goetz Fähigkeit, Neues zu entwickeln, korrespondiert mit seiner Begabung, sich selbst neu zu entwickeln, sich nicht festnageln zu lassen. Er inszeniert sich als das, was seine Produkte versprechen. Da freut sich auch die tagesaktuelle Berichterstattung. Von Autoren gibt es Photos, Klatsch und Zitate. Bücher hingegen sind wenig photogen und müssen gelesen werden. Das kostet Zeit, die nicht da ist. Also greift man aus den Romanen genau die Stellen heraus, die schon woanders als besonders skandalös aufgefallen sind, während die Autoren versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit endlich auf das zu lenken, was sie für die ”wirkliche” message halten. Das mißlingt meistens, aber für die Verkäufe zählt letzlich lediglich die mediale Präsenz. Der Autor oder die Autorin funktionieren als Labels, über die ein Buch vermarktet werden kann, dann am besten, wenn sie als interessante oder leidende Menschen inszeniert werden können, die genau das fühlen, was in ihren Büchern beschrieben wird. Wenn also Image von Autor und Romanfigur übereinstimmen, ist das Marketing fürs erste gelungen.

Nun soll hier keine Anklage gegen das Marketing der Kunst erhoben werden – es geht vielmehr darum zu zeigen, wie es funktioniert und inwiefern der Autor, nämlich in seiner Rolle im literarischen Marketing, nötig ist. Kunst lebt schon lange von der Vermarktung. Auf den von ihm bekannten Photographien schaut Franz Kafka fast immer traurig in die Kamera, die Verwirrung des Autors durch die fremde Welt steht ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Die eher unbekannten Photos zeigen ihn hingegen, wie er lächelnd am Strand sitzt und die Sonne genießt. Auch Rilke nutzte seinen – vermutlich berechtigten – Ruf, ein tiefsinniger Schriftsteller zu sein, um sich in adliger Gesellschaft aushalten zu lassen. Im edlen Ambiente gleiten die Worte viel besser aufs Papier. Nicht zu vergessen die höfischen Dichter bzw. Werbetexter, die davon leben, dem König oder Produkt einen guten Ruf zu erschreiben.

Autoren werden also in einer medialen Welt zunehmend zu Marken und Labels, ihr Auftauchen in den Talkshows und ihre Interviews zu Inszenierungen, die den Zweck haben, die Produkte auf einem unübersichtlichen Markt zu unterscheiden und zu verkaufen, während ihr Status als Kunst-Schöpfende längst an Bedeutung verloren hat. Und was hat das Ganze nun mit Michel Houellebecq zu tun? Richtig. Die Überschrift. Michel Houellebecq – ein Phänomen. Mhhh...also...lesen Sie seine Romane. Falls Ihnen das nicht reicht, Sie also etwas zur PERSON Houellebecq erfahren wollen, besuchen Sie ihn. Er wohnt in Irland. Hier kann nur auf die Foren seiner medialen (Selbst)-Inszenierung verwiesen werden:
www.stud.fernuni-hagen.de/q2287056/kritik/rez_4.htm
www.gezett.de/autoren/99524529houellebecq.htm
www.literaturkritik.de/txt/1999-11-59.html
www.berlinonline.de/wissen/berliner_zeitung
archiv.berliner-morgenpost.de/archiv1999/
www.zeit.de/2000/39/Kultur/200039_l-houelleb._inte.html
www.spiegel.de/spiegel/nf/0,1518,99190,00.html
www.genepeace.ch/new/dummkoepfe.htm

Kristian Kißling
Warum können wir bloß nie, nie geliebt werden?
HOUELLEBECQ KOMPLETT:

Abt. I
Die Romane des MH: Wie ein Pathologe seziert er die Gesellschaft und notiert die Gründe ihres Sterbens
Abt. II
Auf der Suche nach Glück im Supermarkt: MH als Dichter und Essaist
Abt. III
Dies jämmerliche Leben: MH und die Langeweile auf Lanzarote

 



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Gesellschafts-Kritik und Literatur in Zeiten des Konsums:
Das Modell Beigbeder / Houellebecq
Zuletzt geändert am 17.0.2000 ©u-lit