"A Heartbreaking Work of Staggering Genius"
so der Titel von Dave Eggers Erstling, ist zum einen eine
Autobiographie, zum anderen ein selbstreferentielles Spiel mit
Literatur, das mit solcher Energie, solcher Cleverness und
mit völliger Furchtlosigkeit betrieben wird, daß dieses Buch mit Sicherheit
der Meilenstein einer neuen Ausbaustufe der HipLiteratur werden wird.
Es erzählt die tragische, herzzereissende Geschichte des Todes von
Eggers Eltern, die Dave mit knapp 20 Jahren als Alleinerziehenden seines
8 Jahre alten Bruders Toph zurücklassen. Und es erzählt die Geschichte
der folgenden 8 Jahre, in denen die beiden nach San Francisco ziehen, wo
Toph zu einem mehr oder minder normalen Teenager heranreift, während
Dave zwischen seinen Erziehungspflichten und einem Leben als Prototyp der GenerationX
pendelt.
Der Zeitraum, den das Buch behandelt, wird beschlossen durch das Ende der
Kindheit Tophs, das Ende der Twentysomething Phase Daves auf privater Ebene,
durch das Ende einer Epoche, der 90iger, im größeren Maßstab.
"Might", ein satirisches Magazin, dass Eggers und seine Freunde, auf die
noch zurück zu kommen sein wird, mit dem Anspruch gegründet hatten, das
Genre der Lifestyle-, Polit- und SatireMagazine neu zu erfinden, scheitert
an Geldmangel und an Überdruss. Der Versuch, "to show everyone how to
live a less boring life" lässt sich halt nicht lange durchhalten.
Illusionen verdampfen, echte Medienjobs mit echtem Geld locken.
Auch bei MTVīs The Real World, der Mutter aller Reality TV-Shows, wird
Eggers nur fast genommen. Es gibt Krankheiten, Unfälle und versuchte
Selbstmorde am Ende dieser Zeit, und so brechen die Brüder ihre
Zelte ab und gehen nach New York.
Das Buch hat seine düstern, seine dramatischen Seiten, und Eggers lässt
den Leser teilhaben an seinem Schmerz, und an seiner Wut. Schon auf
den ersten Seiten werden die genaue Farbe und Konsistenz des Auswurfs
seiner todkranken Mutter geschildert, sowie die euiphemistisch benamsten
Behältnisse, um diesen aufzufangen. Die Mutter wird dreimal begraben in
diesem Buch; einmal imaginär, in einer prachtvollen, würdigen Zeremonie,
einmal real, in aller tatsächlichen Schäbigkeit und Dürftigkeit, und einmal
am Ende des Buches, als Dave zurück nach Chicago kommt, um die Asche seiner
Mutter in den See zu streuen. In all diesen Szenen kommt Eggers extremes Maß an
Selbstbeobachtung zum tragen; alle Gefühle, die vorhanden sind, werden übertrieben,
karikiert, diskutiert, kommentiert. Und dennoch nimmt dies Verfahren den
Emotionen nichts von ihrer Wirkung, im Gegenteil, es unterstreicht sie sogar.
Dem Buch vorangestellt sind etwa 30 Seiten "Rules And Suggestions for the
Enjoyment of this Book", "Incomplete Guide to Symbols in this Book", etc.
Es gibt Diagramme zu den besten Sockenschlidderwegen
in der Eggerīschen Wohnung, es gibt ein Adresse, unter der man eine
Fassung des Textes bestellen kann, in der alle Namen fiktionalisiert sind. Es
gibt ein Diagramm über die emotionalen Wirkungen des Todes seiner Eltern.
Am besten liest man dies, wenn man das Buch beendet hat, vorweg ist es recht befremdlich.
Ohne die Wucht der Geschichte im Hintergrund kommt diese Ironie etwas sehr gewollt
daher, zumal sie nie eine einfache ist, sondern stets mehrfach gebrochen wird
wie in einem Pingpong Spiel zwischen Behauptungen und Infragestellungen.
Was anfänglich Selbstzweck, Zurschaustellung der eigenen Cleverness zu sein scheint, wird aber im Verlauf des Buches zu einem zentralen Stilmittel. Nicht nur der Erzähler kommentiert ständig die eigene Geschichte, auch seine Figuren treten aus ihren Rollen,
kritisieren den Erzähler, diskutiern mit ihm. Dave Eggers schafft
sich durch diese Brechungen die nötige Distanz, um seine Geschichte so persönlich,
so hemmungslos erzählen zu können. Natürlich wurzelt diese ironische Selbstreflexivität
in seinem Umfeld, seiner Generation. Aber Eggers fühlt sich auserwählt, einzigartig.
Jemand, dem so etwas passiert ist, wie ihm, dem ist alles möglich.
Und Eggers ist in der Tat vieles möglich. Er kann sich in einem Absatz von alltäglichsten
Dialogen zu götterähnlichen Vogelperspektiven aufschwingen, er kann die Beschreibung
eines Frisbee Spiels mit Toph zu einer Meditation über das Leben machen.
Es sieht so aus, als sei hier ein wirklich originales Talent am Start, ein
Autor mit großer Energie, eigenwilliger Persönlichkeit, und den Mitteln, diese
zu vermitteln. Man darf gespannt sein, ob das auch trägt, wenn Eggers nicht von dem
Feuer der eigenen Biographie zehrt.
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