u-lit Literatur Magazin: start!
Jerry Oster:
Sturz ins Dunkel
rororo 1998.
Aus dem Amerikanischen
von Jürgen Bürger und
Robert Brack.
251 S., 12,90 DM


Das grosse Jerry Oster Interview

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Großstadtleben:Als Tom Gilette, Reporter und Hauptfigur in Jerry Osters neuem Buch, das bei Rowohlt in der Thriller Reihe erscheint, obwohl es keiner ist, als Gilette eine Frau über ihren Nachbarn befragen will, stößt er auf Ablehnung. Die Frau, Ms. Hinojosa, lebt allein in einer sehr hübschen Wohnung, sie ist verschwitzt und trägt Sportkleidung, sie betreibt regelmäßiges Training, sie ist gewappnet für das Leben im ruppigen Brooklyn. Und sie tratscht nicht über ihre Nachbarn. Gilette wechselt die Strategie. Er redet über die Hilflosigkeit gegenüber Lärm, über Leute, die vor der Tür lungern, über monströse Car-Stereos, über Congas spielende Nachbarn, über dröhnende Fernseher, über betrunkene Nachbarn, ihre Kinder schlagende Nachbarn. Ms. Hinojosa, muskulös und gestärkt durch Queen Latifah`s Nature Of A Sista , fängt an zu weinen.

... bei Rowohlt in der Thriller Reihe erscheint, obwohl es keiner ist...

Denn siehe, es hebt sich: Was ein Kunstwerk tun sollte, die Dinge in`s Tanzen bringen, das macht Jerry Oster mit New York, City. Menschen, Frauen, Männer und ihr Zusammenleben, das Soziale, das ist sein Thema. Ms. Hinojosa begegnet uns nie wieder, aber sie steht in einer langen Reihe von Figuren, die ebenso gut in das Zentrum der Osterschen Geschichten rücken könnten; Figuren, die so lebendig werden durch seine überragende Fähigkeit, Dialoge zu schreiben. Osters scheinbar fahriger Stil, bei dem es tatsächlich auf jedes Wort ankommt, setzt die Bereitschaft, zu zuhören voraus. Das Gerede in den Büros, den Wohnungen, den Arztpraxen, den Gyms, den Straßen: All die verschiedenen Stimmen, die Sprachen, der Hiphop Slang, der Cop Slang, die Familienwitze; und in diesen Teppich gewoben das Rauschen der Medien, das Geplapper der Talkshows, die Nachrichten, Sport, und die Musik, das allgegenwärtige Radio. Noch jeder Rezensent kommt da auf den Begriff des babylonischen Stimmgewirrs. Und was hört man da? Einen zersplitterten Großstadtsound. Man kann sagen: pure New York Literatur, man kann auch sagen: sozialer Realismus mit expressionistischen Anflügen.

...die Dinge in`s Tanzen bringen...

Was Oster sich hier,Was Oster sich hier, im Ghetto des Genres, traut an unkonventionellem Erzählen, ist mehr, als sich in einer kompletten Frühjahrs Produktion an Belletristik findet. Und das funktioniert brillant: all die Stimmen fügen sich zu einem komplexen Muster, es zieht ständig vorwärts, aber es bleibt frei. Nach mittlerweile mehr als zehn Romanen hat Jerry Oster diesen Stil so perfektioniert, daß ... ja, daß er in seiner Muttersprache keinen Verlag mehr findet. Ein kommerziell ausgebrannter Fall ist er nach eigener Aussage in den USA. Seit seine Agentin gestorben ist, findet der von der Kritik gelobte, aber von den Massen verschmähte Oster keinen Verlag mehr. Und so muß man dem Autor dankbar sein, daß er seine Texte auf eigene Kosten in das Internet stellt. Und man muß dem Rowohlt Verlag dankbar sein, daß er die Bücher in sogar richtig guter Übersetzung veröffentlicht.

...Das Original ist
im Internet abzurufen
unter der Adresse:
www.geocities.
com/SoHo/ Lofts/7911/
...

Und Oster entwickelt sich weiter."Sturz ins Dunkel" spielt, ähnlich der O.J.Simpson Adaption "Violent Love", mit einer New Yorker Sensation: der Vergewaltigung einer Joggerin im Central Park. Viele Jahre später fällt aus dem Fenster des damaligen Vergewaltigungsopfers ein Mann. Nachdem die Medien all die Jahre selbst verpflichtetes Stillschweigen über den Namen der Frau gewahrt haben, drohen jetzt die Dämme zu brechen. Starreporter Gilette, der sich an das Schweigegelübde gebunden fühlt, versucht zu retten, was zu retten ist.

...spielt mit einer New Yorker Sensation...

Eine sparsame Geschichte nicht so kompliziert wie die letzten Polizeiromane, und noch mehr stehen die Frauen im Mittelpunkt. Gilette möchte diesen Frauen eine Freundin sein. Der Lokalreporter einer großen New Yorker Tageszeitung, ein Job, den Oste r selbst lange machte, ist ein smarter, aber melancholischer Mann in seiner Vierzigern. Anstatt eine der vielen Einladungen anzunehmen, zieht er es vor, allein zu bleiben und sich hin und wieder Frauenkleider anzuziehen. Ein weiter Weg von Osters ersten Helden, die den Frauen mit latent gewalttätiger Ohnmacht begegneten.

...Gilette möchte diesen Frauen eine Freundin sein...

Ähnlich wie ein Charles Willeford oder ein James Ellroy nutzt Jerry Oster das Krimi Genre zu einem kompromißlosen Blick auf die Alltagsrealität, aber anders als ein Ellroy ist Oster kein Apokalyptiker, kein Mystiker des Bösen. Sein Schreiben ist weltzugewandt. Jerry Oster lebt mittlerweile irgendwo in Carolina, aber eigentlich, so sagt er, muß man in einer Großstadt leben.

Juni/98 Weitere Rezensionen
©u-lit Zuletzt geändert am 19.02.2000