rezension
 
u-lit

Literatur-eZine

 
Maurizio Maggiani:
Der Mut des Rotkehlchens
 
  Berlin Verlag


u-lit: rezension


u-lit: themen


u-lit neue Bücher...


u-lit: kontakt

Ja, das Rotkehlchen: der herrschsüchtige Falke bricht ihm den Flügel - bleib an deinem Platz - aber unter dem Gespöttel der anderen Vögel flattert es solange komisch herum, bis es schließlich dem Falken auf den Kopf kacken kann. Diese Erklärung der Anarchie kriegt Saverio, Sohn eines exilierten italienischen Bäckers in Alexandria, Ägypten regelmässig von seinm Vater zu hören. Bis der Alte eines Tages zum Schwimmen in's Meer steigt und nichts weiter von ihm bleibt als ein Band mit Ungaretti Gedichten. Guiseppe Ungaretti, italienischer Großdichter, der freiwillig in den ersten Weltkrieg zog und später Mussolini die Hand küsste, stammte aus der Anarchistenkolonie Alexandrias.

...Saverio, Sohn eines exilierten italienischen Bäckers in Alexandria, Ägypten...

Dieser Verräter und sein Vater, der stolze Anarchist? Saverio, Student und Lebenskünstler, verfällt der Schwermut und Ungarettis Gedichten. Reisen werden unternommen, mit einer Eselin durch die Wüste, mit falschem Paß nach Rom, wo Ungaretti als greiser Poetry Rapper zu südamerikanischem Jazz einen Auftritt hat; Begegnungen mit libanesischen Flüchtlingen und äthiopischen Mönchen finden statt. Und Saverio beginnt zu träumen, von dem mythischen Dörfchen Carlomagno und einem Pascal, der dort im 16ten Jhd. als Ketzer verbrannt wird.

...Reisen werden unternommen, mit einer Eselin durch die Wüste, mit falschem Paß nach Rom...

Es ist die grausame Niederschlagung der häretischen Bewegungen der Katharer und Bogumilen, von der Saverio träumt. Ohne daß der Leser es zunächst merkt, durchzieht den Roman die lange Geschichte des arianischen Christentums, aus dessen Wurzel zuletzt der Anarchismus zu spriessen scheint. Die Araber, sagt Saverio, gehen vernünftiger mit ihrer Vergangenheit um als die Europäer: Maggianis Herangehensweise ist die des Märchenerzählers. Wie raffiniert er all seine Fäden verspinnt, merkt man erst am Ende, wenn Krebse in Safran gekocht, Brustwarzen enthüllt und Geschichten geboren werden wie Kinder.

...wenn Krebse in Safran gekocht, Brustwarzen enthüllt und Geschichten geboren werden wie Kinder...

Man kann diesen Roman lesen als Meditation über das Wesen der Häresie, als Streifzug durch die europäische Geschichte oder als Schlüsselroman zur italienischen Literatur. Zweifelhaft ist nur der Nachklapp, wo es den Dichtermantel anlegt und etwas pathetisch wird, das Rotkehlchen. Wozu noch mal beschwören, was man doch vorher so wunderbar demonstriert hat: die Kraft des Erzählens.

...was man doch vorher so wunderbar demonstriert hat: die Kraft des Erzählens...
©u-lit Zuletzt geändert am 26.02.2000