"Vaterspiel" und "Opernball" - gut gemeint, schlecht gemacht? Sagen Sie selbst!
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Lektor bitte!


Josef Haslinger:
Das Vaterspiel.

Roman. Fischer, 2000.
575 S.

Was ist eigentlich aus dem ehrwürdigen Beruf des Lektors geworden? Lektoren, das waren diese Leute, die, immer im Hintergrund bleibend, den Autoren als Widerpart, erste Kritiker, Trost und Stütze, Antreiber und Sündenböcke dienten, und die dafür sorgten, daß lesbare Bücher entstanden. In den USA ist dieser Berufstand womöglich von den allgegenwärtigen Agenten verdrängt worden. Beim Fischer Verlag gibt es aber schon noch bestallte Lektoren. Ob die sich nicht getraut haben, dem Autor des Bestsellers "Der Opernball" die Meinung zu sagen? Oder spekulieren sie darauf, und das - entmutigender Gedanke - vielleicht zu Recht, daß sich Haslingers neues Buch, so wie es ist, schon verkaufen wird?

Ein altmodischer Lektor hätte dem Haslinger schon zu einem frühen Stadium des Schreibprozesses gesagt, daß er sich bitte überlegen möge, welche Geschichte er eigentlich erzählen will. Und er hätte ihm geraten, den Text doch stark zu kürzen, etwas weniger, dafür aussagekräftigere Worte zu benutzen.


Doch zunächst zur Geschichte. Da haben wir es mit einer österreichischen Familienhistorie zu tun, in der Versagen, gegenseitige Abneigung, Schwäche und Kleingeistigkeit die Haupt Ingredienzen bilden. Drei Generationen werden vorgestellt, der Bogen streckt sich durch fast das gesamte 20. Jahrhundert, vom stramm konservativen Dorfschullehrer über den SPÖ Politiker bis zum kiffenden Computerfreak. In dieser Geschichte gibt es einige starke Szenen und Figuren, Zeit- und Lokalkolorit werden einige Male schön erfaßt. Erzählt wird dies von Rupert, einem Mittdreissiger, der seinen Vater, den Politiker, abgrundtief haßt, ohne daß die Motive dafür je wirklich plausibel werden. Der Vater ist ein etwas korrupter Machertyp, der sich von der Mutter scheiden läßt und wenig Zeit für seine Kinder hat, nun gut. Aber Haß, der soweit geht, daß Rupert mit über 30 Jahren jahrelang an einem Vatervernichtungsspiel arbeitet und dies schließlich vermarktet?

Dieses Spiel wird auf dem Computer gespielt, und es ist, trotzdem es das titelgebende Bild des Romans darstellt, eine dahin geschluderte Erfindung Haslingers. Die Beschreibung bleibt im Ungefähren, aber klar ist, daß dieses Spiel so nicht funktionieren kann: Eine Figur wird in dem Spiel in verschiedenen Prozeduren zu Tode gequält, die Spieler können ein Bild ihrer Väter einscannen und so diese virtuell umbringen. Abgesehen davon, daß das Einscannen bei einem animierten Spiel kaum funktionieren dürfte, wird weder klar, was dieses Spiel von einer Simulation unterscheidet noch, was das zu einem Vater- und nicht Mütter-, Kinder-, Hunde- oder Katzenvernichtungsspiel macht. Man mag dies für eine Marginalie halten, aber wer mit einem so bedeutsam klingenden Bild daher kommt, sollte sich wenigstens die Mühe machen, dies zumindest auf rudimentärste Logik hin zu überprüfen.


Überdies bleibt unklar, welche Funktion diesem Bild der Vatervernichtung in dem Roman zukommt. Es geht nämlich keineswegs um das große Thema der deutschsprachigen Literatur der 60 und 70iger Jahre, in der Söhne gegen ihre in den Faschismus verstrickten Väter rebellieren. Haslinger scheint anderes im Sinn gehabt zu haben. In einem zweiten, erheblich weniger Raum beanspruchenden Strang erzählt ein Überlebender Jude aus Litauen davon, wie seine ganze Familie und die meisten seiner Bekannten von Deutschen und Litauern umgebracht wurden. Diese in Form von Aussageprotokollen erzählte Geschichte steht völlig beziehungslos neben der Hauptgeschichte; sie wird zusammen geführt am Ende des Buches in der Figur eines alten kranken Mannes, der sich in New York in einem Keller versteckt. Dieser Mann war als Litauer beteiligt an der Ermordung der Juden und wird als Kriegsverbrecher gesucht. Über die Enkelin des Mannes kommt es zu einer Begegnung zwischen Rupert, der eigentlichen Hauptfigur, und dem greisen Massenmörder. Die Begegnung bleibt folgenlos, Rupert zeigt sich vage fasziniert von dem Alten, etwas ekelt er sich, er überlegt, ob er ihn verraten soll, doch nach einem langen Gespräch, in dem der alte Mann seine Sicht der Dinge schildert, beschließt Rupert, sich des Urteils zu enthalten und lieber nach Haus zu fahren.

Konstruiert ist der Roman so, daß er von Anfang an auf diese Begegnung hin zu laufen scheint. Tatsächlich bleiben die beiden Stränge der Geschichte völlig unverbunden, stehen beziehungslos nebeneinander. Der Überlebende der litauischen Gettos hat am Ende gar überhaupt nichts mehr zu melden, er verschwindet einfach aus dem Buch. Es bleibt also die Frage: Was haben der litauische SS-Mann und der litauische Jude in dieser österreichischen Familiengeschichte zu suchen?


Der Roman bleibt die Antwort schuldig, und das mindert nicht nur den Unterhaltungswert, es setzt das Buch auch dem Vorwurf aus, eine einfache Geschichte mit geborgtem Drama aufzuladen. Um es häßlich zu formulieren: Mit toten Juden geht man nicht hausieren. Oder wie formuliert der Klappentext doch so schön hilflos: das Buch mache klar, daß "niemand der Geschichte entrinnen" könne. A ja. Haslinger hätte bei seiner Familiengeschichte bleiben sollen, mit `Geschichte` aufgeladen ist die bereits zur Genüge. Der Überbau, der durch die Idee der Vatervernichtung und durch die Geschehnisse im litauischen Getto gestiftet werden soll, bleibt im Vagen, wirkt undurchdacht und hergesucht. Überdies wäre das Buch damit schon um gut ein Viertel seiner mühsamen 575 Seiten kürzer geraten.

Den Rest hätte man allerdings auch durchaus straffen können. Haslinger schreibt immens wortreich, ohne allerdings besonders viel zu sagen. Es ist eine banale, geheimnislose Sprache, die unaufgeregt aber auch unökonomisch daherkommt, die ausführlich, aber nicht präzis beschreibt. Nun gut, mag man sagen, es ist ja bloß Unterhaltung, aber dann möchte es ein bißchen zupackender und straffer daherkommen und auf den melodramatischen und undurchdachten Überbau verzichten.

 


Zuletzt geändert am 03.09.2000 ©u-lit